Martin Hetzer, Henrike Hartmann, Robbert Dijkgraaf, Stephanie J. Ellis, Sabine Herlitschka und Christof Gattringer
Martin Hetzer (ISTA), Henrike Hartmann (VolkswagenStiftung), Robbert Dijkgraaf (ehemaliger niederländischer Wissenschaftsminister), Stephanie J. Ellis (Max Perutz Labs), Sabine Herlitschka (Infineon) und Christof Gattringer (FWF, Moderation) bei der Paneldiskussion. © FWF/Klaus Ranger

„Can We Afford to Lose Them? The Need to Attract Top Researchers“ war der Titel der international besetzten Paneldiskussion auf dem Think Beyond Summit des FWF am 20. Februar 2025.

Das Thema der Podiumsdiskussion, die den Abend eröffnete, könnte aktueller nicht sein, stellte Christof Gattringer, Präsident des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, einleitend fest: „Die USA definieren ihre Rolle in der Welt gerade neu. Das wird die Karriereentscheidungen von Toptalenten in der Wissenschaft verändern. Vielleicht kann Europa sogar attraktiver werden?“

Moderiert von Christof Gattringer, diskutierten Robbert Dijkgraaf, Physiker und ehemaliger Wissenschaftsminister der Niederlande (Dijkgraaf hielt auch die einleitende Keynote), Stefanie J. Ellis, Mikrobiologin und Group Leader, Max Perutz Labs, Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG, Martin Hetzer, Molekularbiologe und Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und Henrike Hartmann, stellvertretende Generalsekretärin der VolkswagenStiftung.

Ein kurzer Exkurs: Nicht nur weil sie zeitlich vorranging war, strahlte die Diskussion dieses Panels auf das nachfolgende zweite Panel des Summit aus. „Defining the Limits of Freedom and Autonomy in Research“, so dessen Titel. Es zeigte sich, dass die Freiheit der Wissenschaften nicht nur strukturell bedingt ist, sondern auch abhängig von den Werten individueller Wissenschaftler:innen.

Keynote von Robbert Dijkgraaf: Werte

„Das entscheidende und stärkste Verkaufsargument für Europa werden seine Werte sein.“

Energiesicherheit, nationale Sicherheit, Klimawandel, Überalterung der Bevölkerung, digitale Bedrohungen, geopolitische Spannungen, isolationistische Tendenzen und eine sich rasch beschleunigende technologische Entwicklung: Robbert Dijkgraaf begann seine Keynote mit einer Tour d’Horizon durch die aktuellen Herausforderungen für Europa.

Doch der ehemalige Wissenschaftsminister der Niederlande und ehemalige Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton, der im Dezember zum neuen Präsidenten des Internationalen Wissenschaftsrates (ISC) gewählt wurde, ist optimistisch. Sein Grund: Die Antworten auf die Herausforderungen können nur aus der Wissenschaft kommen und dort hat Europa seine Stärke. „Die moderne Wissenschaft ist in vielerlei Hinsicht ein Geschenk Europas an die Welt. Sie entstand aus dieser Kombination von Zusammenarbeit und Wettbewerb, aus der Vielfalt von Ansichten und der Vernetzung mit dem Rest der Welt.“

Die eigentliche Herausforderung für dieses Europa (und sein Vermögen, Spitzenforscher:innen anzuziehen) sei die Wettbewerbsfähigkeit, so Dijkgraaf. Europa müsse nun noch stärker machen, was bereits seine Stärke ist – Offenheit und Pluralität. Dijkgraafs Ideen dazu lauten:

Intelligente Spezialisierung und Kooperation

An die Stelle von Doppelgleisigkeiten solle Komplementarität treten und die Kooperation von Institutionen über regionale und disziplinäre Grenzen hinweg.

(Riskante) Grundlagenforschung

„Wir sollten nicht in die Falle tappen, Forschung zu unterstützen, die weder freie Grundlagenforschung noch wirklich kluge strategische Forschung ist“, sagte er und plädierte für Mut zum Risiko. Gemeinsam genutzte Forschungsinfrastruktur etwa könne Investitionsrisiken minimieren, wirke als Magnet für Spitzenforscher:innen und sorge dafür, dass Forschung, die auf diese Infrastruktur angewiesen ist, (auch) öffentliche Forschung bleibt: „Es ist wichtig, den privaten Bereich einzubeziehen. Wir leben in einer Zeit, in der bestimmte Forschung in die Privatwirtschaft verlagert wird. Das sehen wir bei der KI, in der Biotech-Welt und vielleicht auch bald in der Quantenforschung.“

„Expansion“ und Offenheit

„Wie kann die Wissenschaft erweitert werden, sodass Gruppen, die derzeit nicht das Gefühl haben, dass sie in Forschung und Technologieentwicklung eine Rolle spielen, sich willkommen fühlen?“, fragte Dijkgraaf. Es täte der Anerkennung, der Attraktivität und Qualität von Wissenschaft gut, sich zu öffnen – für die Gesellschaft, für neue Formen der Zusammenarbeit, für neue Partnerschaften und für hybride, nichtlineare Karrieren. Diese Expansion von Wissenschaft würde sich im Idealfall in alle gesellschaftlichen Bereiche erstrecken: „Viele der Werte der Wissenschaft sollten auch Werte unserer Gesellschaft sein. Der Respekt vor Fakten, der Respekt vor der Ungewissheit, der Respekt vor der Tatsache, dass man weiß, dass man etwas nicht weiß. Ich denke, dass diese Werte entscheidend sind, um ein produktives, fruchtbares und optimistisches Umfeld zu schaffen, in dem sich Forschende sowohl willkommen als auch unterstützt fühlen. Das entscheidende und stärkste Verkaufsargument für Europa werden seine Werte sein.“

Sicherheit, Autonomie, Geld – was brauchen Forschende von Europa?

Ist die von Dijkgraaf skizzierte Expansion des wissenschaftlichen Denkens eine machbare Utopie? Was konkret soll Europa tun, um attraktiver für die Spitzenforschung zu werden? Welche Chancen hat ein kleines Land wie Österreich? Moderiert von Christof Gattringer diskutierten dies die Mikrobiologin und Forschungsgruppenleiterin Stephanie J. Ellis, die Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG Sabine Herlitschka, der Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) Martin Hetzer und die stellvertretende Generalsekretärin der VolkswagenStiftung Henrike Hartmann.

Stephanie J. Ellis: Sicherheit

Stephanie J. Ellis ist eine jener Spitzenforscherinnen, für die Europa attraktiv sein will. Ellis ist eine vielfach ausgezeichnete Mikrobiologin, unter anderem mit dem FWF-START-Preis 2023. Sie leitet ihre eigene Forschungsgruppe an den Max Perutz Labs in Wien und erforscht die Rolle der Zellkonkurrenz bei der Entstehung von Gewebe. Ellis ist außerdem Professorin an der Universität Wien. Was hat sie aus den USA nach Österreich gezogen? Ohne ihre persönliche Verbindung zu Europa hätte Ellis die Alpenrepublik möglicherweise nicht in Betracht gezogen, als sie vor fünf Jahren von den USA aus eine Postdoc-Stelle suchte: Europa ist bei jungen Forscher:innen in den USA und Kanada nicht unbedingt auf dem Radar, berichtete sie. Dabei war Ellis angetan von der kooperativen Art der Forschungsförderung und der wissenschaftlichen Diskussionskultur. Die Sicherheit der Professur an der Universität Wien gab für sie schließlich den Ausschlag: „Ohne einen solchen sicheren Weg in Richtung einer stabilen Zukunft ist eine erfolgreiche Forschungslaufbahn nicht möglich. Ich denke, wir brauchen mehr davon, um Leute wie mich dazu zu bringen, Österreich auf dem Radar zu haben.“

Sabine Herlitschka: Vernetzung

Infineon Technologies Austria gelingt es gut, internationale Forschende anzuziehen: 2.500 von 6.000 Mitarbeiter:innen des Halbleiterkonzerns arbeiten in Forschung und Entwicklung, das Unternehmen bietet mehr als 100 Doktorand:innen die Möglichkeit, eine wissenschaftliche Laufbahn zu starten, und hat einen regen Austausch mit Universitäten und anderen Forschungsstätten. „Wir sind Teil eines lebendigen Ökosystems“, so die Vorstandsvorsitzende Sabine Herlitschka. Was also fehlt? Wie Dijkgraaf sieht Herlitschka Potenzial für mehr Offenheit: „Dass Forscher:innen aus der Privatwirtschaft an die Universität wechseln, ist immer noch zu selten“, sagte sie. „Die erfolgreichen Innovationsstandorte sind da durchlässiger.“

Kann unternehmensnahe Forschung autonom sein? Aus Sicht von Sabine Herlitschka muss sie das sogar sein, schon allein deshalb, weil sich Technologien und Märkte so schnell entwickeln. Infineon schreibt daher jährlich 10 bis 15 Millionen Euro an internem Risikokapital aus, um das sich Forschende bewerben können, um Machbarkeitsstudien durchzuführen.

Martin Hetzer: Interaktion für neue Ideen

Durchlässigkeit, Offenheit und Autonomie sind ebenso Teil des Erfolgs des Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Wie das in Villach in Kärnten beheimatete Infineon liegt das ISTA mit dem Standort Klosterneuburg auch etwas abseits der Zentren. Wissenschaftler:innen aus 79 Nationen gehen dort nahezu uneingeschränkt ihren Forschungsfragen nach und ziehen Forschende an: Allein im letzten Jahr bewarben sich 1.700 Wissenschaftler:innen. Offenheit wird am ISTA gezielt gefördert. Martin Hetzer, Präsident des ISTA, nannte dieses Beispiel: „Wir haben derzeit etwa 470 Doktorand:innen. Bevor sie sich ein Labor für ihre Promotion aussuchen können, müssen sie zwischen verschiedenen Labors rotieren. Und das ist ein wunderbares Instrument für junge Studierende, die mit einer bestimmten Idee zu uns kommen. Sie werden durch die Rotation mit Fragen und Methoden konfrontiert, die sie noch nicht kennen. Und so ändern sie entweder ihre Richtung oder starten Kooperationen zwischen zwei Labors. So wird Interaktion und Austausch gefördert.“

Henrike Hartmann: Mobilität erleichtern

Die VolkswagenStiftung, deren stellvertretende Generalsekretärin Henrike Hartmann ist, ist eine der international bedeutendsten Forschungsfördereinrichtungen. Herausragende Forschung und Entwicklung sei darauf angewiesen, dass Forschende bereit sind, ins Ausland zu gehen, sagt sie: „Exzellente Forschung braucht den persönlichen Kontakt.“ Doch wie Hartmann beobachtet, sind immer weniger Forschende bereit, diese Hypermobilität, die mit einer Karriere in der Spitzenforschung einhergeht, mitzutragen. „Die Deutsche Forschungsgesellschaft hat einen Rückgang um 50 Prozent bei Bewerbungen für die USA“, berichtete Hartmann. Das sollte Anlass sein, gewohnte Strukturen zu überdenken und etwa mehr Möglichkeiten für kürzere Forschungsaufenthalte zu schaffen. „Work-Life-Balance ist extrem wichtig. Bisher haben wir es vor allem den Wissenschaftlerinnen schwer gemacht, ihre Karrieren zu verfolgen und mobil zu sein.“

Empfehlungen

Christof Gattringer forderte die Teilnehmer:innen der Paneldiskussion abschließend auf, einen – nur einen – Rat für Forschungsinstitutionen, -förderung oder -politik zu formulieren.

Robbert Dijkgraaf

„Versetze dich in die Position des oder der Forschenden: Wie würdest du deine Einrichtung bewerten? Bist du kreativ? Intellektuell redlich?“

Henrike Hartmann

„Ermögliche Freiheit und biete Unterstützung.“

Martin Hetzer

„Unterscheide dich von deinen Hauptkonkurrenten.“

Sabine Herlitschka

„Ein lebendiges Ökosystem fördert den von der Begeisterung für ein Thema getragenen Austausch. Wir sind in einem globalen Wettbewerb. Also müssen wir besser sein als die anderen. Und das können wir.“

Stephanie J. Ellis

„Es geht um Community-Building. Je mehr unterschiedliche Menschen Teil davon sind, desto größer wird das gemeinsame Ganze.“

Keynote & Panel Debate

Die Paneldiskussion „Can We Afford to Lose Them? The Need to Attract Top Researchers“ fand auf dem zweiten Think Beyond Summit des FWF am 20. Februar 2025 statt (Audio stream only).

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