„Das entscheidende und stärkste Verkaufsargument für Europa werden seine Werte sein.“
Energiesicherheit, nationale Sicherheit, Klimawandel, Überalterung der Bevölkerung, digitale Bedrohungen, geopolitische Spannungen, isolationistische Tendenzen und eine sich rasch beschleunigende technologische Entwicklung: Robbert Dijkgraaf begann seine Keynote mit einer Tour d’Horizon durch die aktuellen Herausforderungen für Europa.
Doch der ehemalige Wissenschaftsminister der Niederlande und ehemalige Direktor des Institute for Advanced Study in Princeton, der im Dezember zum neuen Präsidenten des Internationalen Wissenschaftsrates (ISC) gewählt wurde, ist optimistisch. Sein Grund: Die Antworten auf die Herausforderungen können nur aus der Wissenschaft kommen und dort hat Europa seine Stärke. „Die moderne Wissenschaft ist in vielerlei Hinsicht ein Geschenk Europas an die Welt. Sie entstand aus dieser Kombination von Zusammenarbeit und Wettbewerb, aus der Vielfalt von Ansichten und der Vernetzung mit dem Rest der Welt.“
Die eigentliche Herausforderung für dieses Europa (und sein Vermögen, Spitzenforscher:innen anzuziehen) sei die Wettbewerbsfähigkeit, so Dijkgraaf. Europa müsse nun noch stärker machen, was bereits seine Stärke ist – Offenheit und Pluralität. Dijkgraafs Ideen dazu lauten:
Intelligente Spezialisierung und Kooperation
An die Stelle von Doppelgleisigkeiten solle Komplementarität treten und die Kooperation von Institutionen über regionale und disziplinäre Grenzen hinweg.
(Riskante) Grundlagenforschung
„Wir sollten nicht in die Falle tappen, Forschung zu unterstützen, die weder freie Grundlagenforschung noch wirklich kluge strategische Forschung ist“, sagte er und plädierte für Mut zum Risiko. Gemeinsam genutzte Forschungsinfrastruktur etwa könne Investitionsrisiken minimieren, wirke als Magnet für Spitzenforscher:innen und sorge dafür, dass Forschung, die auf diese Infrastruktur angewiesen ist, (auch) öffentliche Forschung bleibt: „Es ist wichtig, den privaten Bereich einzubeziehen. Wir leben in einer Zeit, in der bestimmte Forschung in die Privatwirtschaft verlagert wird. Das sehen wir bei der KI, in der Biotech-Welt und vielleicht auch bald in der Quantenforschung.“
„Expansion“ und Offenheit
„Wie kann die Wissenschaft erweitert werden, sodass Gruppen, die derzeit nicht das Gefühl haben, dass sie in Forschung und Technologieentwicklung eine Rolle spielen, sich willkommen fühlen?“, fragte Dijkgraaf. Es täte der Anerkennung, der Attraktivität und Qualität von Wissenschaft gut, sich zu öffnen – für die Gesellschaft, für neue Formen der Zusammenarbeit, für neue Partnerschaften und für hybride, nichtlineare Karrieren. Diese Expansion von Wissenschaft würde sich im Idealfall in alle gesellschaftlichen Bereiche erstrecken: „Viele der Werte der Wissenschaft sollten auch Werte unserer Gesellschaft sein. Der Respekt vor Fakten, der Respekt vor der Ungewissheit, der Respekt vor der Tatsache, dass man weiß, dass man etwas nicht weiß. Ich denke, dass diese Werte entscheidend sind, um ein produktives, fruchtbares und optimistisches Umfeld zu schaffen, in dem sich Forschende sowohl willkommen als auch unterstützt fühlen. Das entscheidende und stärkste Verkaufsargument für Europa werden seine Werte sein.“
Sicherheit, Autonomie, Geld – was brauchen Forschende von Europa?
Ist die von Dijkgraaf skizzierte Expansion des wissenschaftlichen Denkens eine machbare Utopie? Was konkret soll Europa tun, um attraktiver für die Spitzenforschung zu werden? Welche Chancen hat ein kleines Land wie Österreich? Moderiert von Christof Gattringer diskutierten dies die Mikrobiologin und Forschungsgruppenleiterin Stephanie J. Ellis, die Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG Sabine Herlitschka, der Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) Martin Hetzer und die stellvertretende Generalsekretärin der VolkswagenStiftung Henrike Hartmann.