Eine Taufe in der heute französischen Stadt Reims um das Jahr 500 unserer Zeitrechnung sollte bestimmend für das gesamte europäische Mittelalter sein. Im Zuge des Verfalls der römischen Reichsstrukturen waren viele Städte zu lokalen Königreichen geworden, regiert von ehemals römischen Statthaltern meist fränkischer Herkunft. Einer von ihnen, Chlodwig aus dem Haus der Merowinger, hatte viele von ihnen besiegt und zu einem Frankenreich zusammengeführt. In Reims ließ sich Chlodwig schließlich zum Christentum bekehren und taufen. Der Frankenkönig mochte sich davon göttlichen Beistand am Schlachtfeld und einen Zugewinn weltlicher Macht versprechen. Doch die Wirkung dieser Bekehrung ging weit darüber hinaus: Chlodwig I. prägte damit ein Modell mittelalterlicher Herrschaftssysteme vor, in denen ein von Gott legitimierter Herrscher im Namen eines Volkes regierte. Das war das Modell, das sich in Europa etablierte und letztlich in die Entstehung moderner Nationen mündete.
Doch wer war überhaupt das „Volk“, über das Chlodwig herrschte? Aus ethnischer Sicht war es keinesfalls einheitlich. Die germanischen Franken und andere kriegerische Zuwanderer waren nur eine Minderheit. Der viel größere Teil waren Galloromanen – also Gallier, die durch das nun verschwundene weströmische Reich geprägt waren. Chlodwigs Frankenreich war eine Mischkulanz aus römischen, gallischen und germanischen kulturellen Versatzstücken, zusammengehalten von einem Volksbegriff, der sich auf neue Weise auf einen allmächtigen Gott bezog.