Der ungarisch-österreichische Physiker Ferenc Krausz hat mit Kolleg:innen die technischen Grundlagen für die Messung kleinster Zeiteinheiten geschaffen – so klein, dass sogar Vorgänge im Inneren von Atomen zugänglich werden. Für die Erschließung einer Welt, die in unfassbar kurzen Attosekunden beschrieben wird, wurde der Wissenschaftler 2023 mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet. Wesentliche Unterstützung für Krausz’ Forschungsdurchbrüche kamen vom Wissenschaftsfonds FWF.

In den Labors im Keller der Technischen Universität Wien wird oft bis tief in die Nacht hinein gearbeitet. Ohne die Ablenkungen des Tagesbetriebs kann man sich voll auf Versuchsaufbauten und Messungen konzentrieren. In einer dieser Nächte, genau in jener vom 8. September 2001, waren in einem dieser engen Abteile der Physiker Ferenc Krausz und sein Team am Werk. Sie hantierten mit hochspezialisierten Laserlichtquellen, Neongas und einer Vielzahl von Kontrollinstrumenten. In den frühen Morgenstunden, alle waren bereits hundemüde, kam der Durchbruch: Die Wissenschaftler:innen hatten mit ihrem Experiment nachweislich extrem kurze Lichtimpulse im Attosekundenbereich hervorgebracht. Das ist so kurz, dass man damit die unvorstellbar schnellen Bewegungen von Elektronen, die um einen Atomkern kreisen, „ablichten“ kann – eine Errungenschaft, die bis dahin unmöglich schien.

22 Jahre später ist Krausz, der mittlerweile Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München ist, wieder zurück in seinem alten Kellerlabor an der TU Wien. Wenige Tage zuvor wurde ihm der Nobelpreis für Physik 2023 zugesprochen und das Experiment, das damals in Wien gelang, war ein maßgeblicher Grund dafür. Gemeinsam mit seinen Co-Preisträger:innen Anne L’Huillier und Pierre Agostini hatte Krausz die Basis für Beobachtungen in bisher unerreichten Zeitskalen gelegt. „Wir können jetzt die Tür zur Welt der Elektronen öffnen. Die Attosekundenphysik gibt uns die Möglichkeit, Mechanismen zu verstehen, die von Elektronen gesteuert werden. Der nächste Schritt wird sein, sie zu nutzen“, sagte etwa Eva Olsson, die Vorsitzende des Nobelkomitees für Physik, in der Begründung der Preisentscheidung.

In aller Kürze

Die Arbeiten von Ferenc Krausz haben die Etablierung der Attosekundenphysik wesentlich mitbegründet, in der extrem kurze Abläufe im Bereich von Milliardsteln von milliardstel Sekunden messbar gemacht werden können. Zu seinen Leistungen gehört die Entwicklung eines hochenergetischen Ultrakurzlasers im untersten Femtosekundenbereich. Auf der Basis seiner Forschungen sind neue Arbeitsgebiete entstanden, wie beispielsweise die hochauflösende Mikroskopie lebender Organismen. Zudem hat er Laser entwickelt, die bei der Diagnose von Augen- und Krebskrankheiten eingesetzt werden können.

scilog-Lesetipp

Portrait Ferenc Krausz
Vom FWF-Wittgenstein-Preis zum Physiknobelpreis: 2023 erhielt Ferenc Krausz für seine Durchbrüche in der Attosekundenphysik den Nobelpreis für Physik. Mehrere der vom FWF geförderten Arbeiten befinden sich auf der Zitationsliste für den Nobelpreis. © Martin Hörmandinger/ÖAW
Labor TU Wien
Ein START-Preis des FWF hatte den Wiener Physiker 1996 mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet, eine eigene Forschungsgruppe für seine Experimente an der TU Wien aufzubauen. Dazu kam der FWF-geförderte Spezialforschungsbereich „Advanced light sources (ADLIS)“ und in weiterer Folge der FWF-Wittgenstein-Preis. © TU Wien

Mentor und Wegbereiter

Der wissenschaftliche Weg des 1962 in Mór in Ungarn geborenen Krausz begann in Budapest, wo er Technische Physik und Elektrotechnik studierte. Nach dem Wechsel an die TU Wien schloss er 1991 das Doktorat in Quantenelektronik ab. Bereits damals waren Ultrakurzpulslaser sein Thema. 1993 folgte die Habilitation und 1999 wurde er hier schließlich ordentlicher Professor. In Bezug auf seine Wiener Anfänge verweist Krausz auf seinen Förderer Arnold Schmidt. Der Professor der TU Wien, der mittlerweile emeritiert ist, sei ihm über die Jahre als Mentor und Wegbereiter zur Seite gestanden und habe ihm die ganzen Freiheiten gegeben, die für seinen Erfolg nötig waren, betont er immer wieder. Später sollte Schmidt zum langjährigen Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden des Wissenschaftsfonds FWF werden.

Die damaligen Forschungsarbeiten Krausz’ bauten auf theoretischen Grundlagen auf, die unter anderem von seiner späteren Nobelpreiskollegin, der französisch-schwedischen Atomphysikerin Anne L’Huillier, geschaffen wurden. Ein START-Preis des FWF hatte den Wiener Physiker 1996 mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet, eine eigene Forschungsgruppe aufzubauen. Dazu kam der FWF-geförderte Spezialforschungsbereich „Advanced light sources (ADLIS)“. Bereits 1997 konnten Krausz und Kolleg:innen in einer Publikation zeigen, wie hochenergetische Laserimpulse mit einer Dauer von unter fünf Femtosekunden generiert werden können – eine allein vom FWF geförderte Arbeit, die für den späteren Durchbruch wichtig sein sollte und auch vom Nobelpreiskomitee in seiner Begründung hervorgehoben wurde.

Ultrakurzer Laserimpuls

Femtosekunden sind um den Faktor tausend länger als Attosekunden. Um tatsächlich in ein Atom „hineinschauen“ zu können, würde ein Femtosekundenlaser nicht ausreichen. „Licht hat eine Wellenform, und der kürzeste Laserblitz, den die Natur uns erlaubt zu erzeugen, ist etwa eine Oszillationsperiode, also sozusagen ein einzelner Wellenverlauf“, erklärt Krausz in einem Interview mit der „Zeit“. „Noch kürzer kann der Laserblitz nicht sein, weil sich die Welle dann nicht ausbreiten kann. So eine Oszillationsperiode dauert aber immer noch einige Femtosekunden, je nach Farbe des Lichts.“ 

Dennoch sollte die Technologie den Zugang zur Atto-Welt eröffnen. Bei dem erfolgreichen Experiment in der Septembernacht von 2001 beschossen Krausz und sein Team Neongas mit einem Femtolaser, um die Licht-Materie-Interaktion für die Produktion eines – nun erstmals messbar gemachten – noch kürzeren Lichtimpulses zu nützen. Trifft der Strahl auf ein Neonatom, kann er dort ein Elektron aus der Bahn schießen, das nach einer sehr kurzen Zeit aber wieder an seinen Platz zurückkehrt. In diesem Zeitraum entsteht ein ultrakurzes und hochenergetisches Lichtquant im Attosekundenbereich, das die Forschenden nun nicht nur herstellen, sondern auch nachweisen konnten. Noch 2001 beschrieben sie ihren Durchbruch im Fachjournal „Nature“. 2002 wurde Krausz vom FWF zum jüngsten Wittgenstein-Preisträger in der Geschichte der Auszeichnung gekürt.

Auch sein Nobelpreiskollege Agostini konnte damals im Forschungszentrum Paris-Sarclay fast gleichzeitig einen ähnlichen Durchbruch vorlegen. Gemeinsam legten sie den Grundstein, um bisher unzugängliche physikalische Abläufe im Attobereich für Messung und Manipulation zugänglich zu machen. Die tatsächliche Länge einer Attosekunde ist dabei dem menschlichen Vorstellungsvermögen kaum zugänglich. „Es sind mehr Attosekunden in einer Sekunde, als es Sekunden seit der Geburt des Universums gab“, lautet eine Veranschaulichung des Nobelpreiskomitees. Einen anderen Vergleich liefert Krausz selbst in der Zeitschrift „Welt der Physik“: „Man weiß, dass Licht innerhalb von einer Sekunde unseren Globus zehnmal umrunden kann“, sagt er dort. „In einer Attosekunde kommt das Licht dagegen weniger als ein millionstel Millimeter weit.“ Diese Distanz entspricht etwa dem Durchmesser eines kleinen Moleküls.

Neuer Blick in die Quantenwelt

2003 wechselte Krausz, der sowohl ungarischer als auch österreichischer Staatsbürger ist, an das Max-Planck-Institut in Garching. Eine wesentliche Entwicklung fokussierte nun auf die Nutzung der Attolichtblitze für Messungen. Die Forschenden griffen dabei ein altes Prinzip auf, mit dem bereits im 19. Jahrhundert Lichtblitze vermessen wurden. Die sogenannte Schmierbildkamera nutzte damals rotierende Spiegel, um den Strahl auf einer Fotoplatte „auszuschmieren“ und somit räumlich abzubilden. Die Attosekunden-Schmierbildkamera, bei der Krausz den Miterfinder Paul Corkum von der Universität Ottawa in Kanada hervorhebt, bringt den ursprünglichen Femtolaserstrahl erneut ins Spiel. Dessen Lichtfeld wird analog zu den früheren Spiegeln bei einer Messung genutzt, was letztendlich dazu führt, dass man zeitlich so hochaufgelöste Daten erzeugen kann, um den in Attosekunden ablaufenden Vorgängen im Inneren eines Atoms auf die Spur zu kommen. 

Die Technologien erschließen eine Vielzahl von potenziellen Anwendungen – auch abseits der immensen Bedeutung für die weitere physikalische Forschung. Krausz hebt etwa die Computertechnik hervor: Hier steht die Miniaturisierung der Rechenchips vor einer natürlichen Grenze. Doch wenn man künftig den Takt, das Ein- und Ausschalten des Stroms, mittels Lichttechnik umsetzt, könnte man das Problem der Wärmeentwicklung lösen und Computer 100.000-fach schneller machen. Im Bereich der Medizin leitet der Nobelpreisträger selbst ein Projekt: Es geht darum, Moleküle in Blutproben anzuregen und in den entstehenden Signalen Hinweise auf Krankheiten, etwa Krebs oder Diabetes, zu finden. Auch wenn man in der Septembernacht von 2001 diese Möglichkeiten noch kaum erahnen konnte, wurde damals der Technologie ein neues und unfassbar hochaufgelöstes Zeitgefühl gegeben.

Zur Person

Geboren 1962 in Mór (Ungarn), studierte Ferenc Krausz Elektrotechnik an der Technischen Universität Budapest und Theoretische Physik an der Eötvös-Loránd Universität in Budapest. 1991 promovierte er in Quantenelektronik an der Technischen Universität Wien, an der er nur zwei Jahre später auch habilitierte. Von 1999 an war er Professor an der Technischen Universität Wien, im Jahr 2000 wurde er Direktor am Zentrum für „Advanced Light Sources“. 2003 folgte Krausz dem Ruf als Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, an dem er die Abteilung Attosekundenphysik leitet. Seit 2004 hat er einen Lehrstuhl für Experimentalphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Bereits 1996 konnte der Experimentalphysiker seine Arbeiten mit einem FWF-START-Preis umsetzen, 2002 erhielt er in weiterer Folge mit dem FWF-Wittgenstein-Preis Österreichs höchstdotierte Forschungsförderung.

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