Markus Aspelmeyer, Katalin Farkas, Manuel Heitor, Barbara Weitgruber, Jens Jungblut, Birgit Dalheimer
Markus Aspelmeyer (IQOQI), Katalin Farkas (CEU), Manuel Heitor (ehemaliger portugiesischer Wissenschaftsminister), Barbara Weitgruber (BMBWF), Jens Jungblut (University of Oslo) und Birgit Dalheimer (ORF, Moderation) bei der Paneldiskussion © FWF/Klaus Ranger

„Defining the Limits of Freedom and Autonomy in Research“ lautete der Titel des zweiten international besetzten Panels auf dem Think Beyond Summit des FWF am 20. Februar 2025.

Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut und nachgerade unerlässlich, damit es überhaupt so etwas wie Fortschritt in den Wissenschaften geben kann. Wie auch die Teilnehmer:innen des vorhergehenden ersten Panels „Can We Afford to Lose Them? The Need to Attract Top Researchers“ feststellten, ist Autonomie und Offenheit auch Voraussetzung, um Spitzenforscher:innen ins Land zu holen. Muss diese Freiheit der Wissenschaften aber Grenzen haben, etwa dann, wenn andere Interessen wie etwa Sicherheit berührt werden? Und wenn ja, wo sollen diese Grenzen verlaufen und wer ist legitimiert, sie festzulegen?

Moderiert von der ORF-Wissenschaftsredakteurin Birgit Dalheimer diskutierten: Manuel Heitor, Leiter der „Horizon Europe“-Expert:innengruppe und ehemaliger Wissenschaftsminister Portugals, Katalin Farkas, Philosophin an der Central European University und Mitglied des Exzellenzclusters „Knowledge in Crisis“, Barbara Weitgruber, Sektionschefin „Wissenschaftliche Forschung und internationale Angelegenheiten, Gleichstellung und Diversitätsmanagement“ im österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Jens Jungblut, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Oslo, und Markus Aspelmeyer, Quantenphysiker an der Universität Wien und wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation, ÖAW.

Keynote von Manuel Heitor: Verteidigung und Sicherheit

„Verteidigung und Sicherheit der Bürger:innen sind neue Aufgaben der Wissenschaft“

Manuel Heitor steht als Leiter der Expert:innengruppe für die Evaluierung von Horizon Europe gewissermaßen an vorderster Front, wenn es um die Dilemmata der Wissenschaftsfreiheit geht. 2024 hat die Expert:innengruppe den nach ihm benannten Heitor-Report vorgelegt, in dem die erforderlichen Maßnahmen skizziert werden, um Horizon Europe, das zentrale Förderprogramm der EU für Forschung und Innovation, noch in den letzten zwei Jahren seiner Laufzeit (2025 bis 2027) so zu verändern, dass der europäische Forschungsraum vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen, technologischen und geopolitischen Herausforderungen gestärkt wird. Das nächste Forschungsrahmenprogramm (FP 10) soll dann das doppelte Volumen haben.

Die Gegenwart sei eine große Transformation, sagte Heitor, beschleunigt durch immer schneller sich entwickelnde Technologien. Wissenschaft, Innovation und Forschung sind plötzlich vitale Sicherheitsinteressen von Staaten geworden: „Wie können wir europäische Wettbewerbsfähigkeit im neuen Kontext von Verteidigung, Sicherheit und europäischer Autonomie verstehen?“ Echte europäische Autonomie in der Wissenschaft, erklärte Heitor weiter, müsste bedeuten, auf der einen Seite die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und zugleich neue Formen der globalen Kooperation zu finden – auch mit riskanten Partnern wie China oder den USA. „Abkoppeln und blockieren ist keine Lösung. Aber das heißt, dass Wissenschaftler:innen auf der Projektebene mehr Verantwortung übernehmen müssen, und das können sie nur, wenn die Integrität der Forschung auf institutioneller Ebene gewährleistet ist. Die Verteidigung und die Sicherheit der Bürger:innen sind neue Aufgaben der Wissenschaft.“

Europa habe das Potenzial, die Herausforderungen zu meistern – die Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte hätten das gezeigt, sagte Heitor mit Blick auf das vor 15 Jahren gegründete European Research Council (ERC) und das European Investment Council (EIC). Europa dürfe sich die Früchte dieser Anstrengungen nicht wegnehmen lassen. Wie im Bericht der Expert:innengruppe nachzulesen, wurde ein Großteil der durch das ERC geförderten Patente von amerikanischen Konzernen bzw. Investmentfonds genutzt und nicht in Europa. Auch in Europa gegründete Start-ups wanderten in die USA. „Daraus müssen wir die richtigen Lehren ziehen“, so Heitor abschließend: „Wir brauchen mehr Grundlagenforschung, mehr bahnbrechende Innovationen, mehr Zusammenarbeit und mehr kooperative Forschung. Dies wiederum erfordert unser besonderes Augenmerk für die nächsten Generationen.“

Autonomie in einer unsicheren Welt

Was bedeutet es vor dem Hintergrund politischer Verwerfungen und der unsicheren Weltlage für die Autonomie der Wissenschaften, wenn in Europa wissenschaftsfeindliche Parteien zunehmend an Bedeutung und zum Teil an Regierungsverantwortung gewinnen? Birgit Dalheimer stellte diese Frage an den Anfang der Paneldiskussion.

Katalin Farkas: „Es gibt keine Garantien“

„Freiheit und Autonomie sind nicht selbstverständlich gegeben.“ Die Philosophin Katalin Farkas weiß das aus eigener Erfahrung: Die Central European University (CEU), deren Department für Philosophie sie leitet, musste vor sieben Jahren ihren Sitz in Budapest aufgeben, weil die Regierung Orbán die CEU als „illegal“ verbot. „Das geschah in einem EU-Mitgliedsstaat“, erinnerte Farkas. Die garantierte Abwesenheit von Zensur sei „eine Illusion“, so Farkas. Das Beispiel der USA zeige aktuell deutlich, dass auch positive Freiheiten jederzeit infrage gestellt und zurückgenommen werden könnten. „Es gibt keine Garantien. Autonomie kann jederzeit beschnitten werden, ob durch den Entzug von Finanzierung oder Zensur.“ Ob Forschungsstätten dabei privat oder staatlich finanziert würden, spiele keine Rolle für ihre Freiheit, wie man ebenfalls am Beispiel der CEU sehen könne.

Jens Jungblut: „Verantwortungsvoll mit Autonomie umgehen“

Die Grenzen zwischen den Politikfeldern sieht der Politikwissenschaftler Jens Jungblut zunehmend verwischt. Wenn den Wissenschaften und der Hochschulbildung auf der einen Seite eine größere sicherheitspolitische Bedeutung zukommt, weil sie zum Beispiel dafür sorgen können, dass Europa über eigene unabhängige KI-Systeme verfügt, oder weil technologische Entwicklungen sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, dann sei das nicht per se schlecht. Aber: „Das, was wir tun, muss natürlich auch unter dem Blickwinkel betrachtet werden, was es für diese Kontexte bedeutet, die für den Staat, in dem wir arbeiten, lebenswichtig sind. Und ich denke, das löst diese Spannung aus, dass wir einerseits keine Steuerung von oben wollen, die vorschreibt, was passieren darf und was nicht. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch verantwortungsvoll mit der Autonomie umgehen.“

Im Hinblick auf die Bedrohung durch Populist:innen sei es notwendig, Forschung wieder aus der Kampfzone zu holen: „Das geht am besten, indem man das Vertrauen in die Wissenschaft wieder stärkt.“

Barbara Weitgruber: „Forschung kann sich nicht isolieren“

Für Barbara Weitgruber, die als Sektionschefin „Wissenschaftliche Forschung und internationale Angelegenheiten, Gleichstellung und Diversitätsmanagement“ im österreichischen Wissenschaftsministerium die Ambivalenzen ausbalancieren muss, tun sich mit den aktuellen Entwicklungen echte Dilemmata auf. „Forschung kann sich nicht isolieren“, sagte sie. „Es gibt keine exzellente Forschung ohne internationalen Austausch und ohne internationale Kooperation. Das Ziel muss sein, so offen wie möglich zu bleiben.“ Konkret heißt dies: Mehr als 70 Hochschulen, Forschungs- und Forschungsfördereinrichtungen in Österreich haben zentrale Anlaufstellen für das Sicherheitsthema benannt, eine Risikobewertung durchgeführt und Maßnahmen für das Risikomanagement und die Sensibilisierung in den einzelnen Einrichtungen ergriffen. Der Informationsaustausch von Universitäten und Ministerien sei vertrauensvoll. „Wir müssen immer im Hinterkopf behalten, dass die Verbesserung der Forschungssicherheit eigentlich die akademische Freiheit verteidigt. Es geht darum, die Forschung und die Forschungsstätten zu schützen und natürlich unsere Demokratien. Kurz gesagt, es geht um Risikominderung, aber nicht um Entkopplung.“

Die EU-Kommission arbeite derzeit auch an einer verbindlichen Richtlinie, die die Freiheit der Forschung im europäischen Forschungsraum für die Mitgliedsstaaten verbindlich macht. Einflussnahmen wie in den USA oder in Ungarn sollen so verhindert werden können.

Markus Aspelmeyer: „Wann kommt Dual Use ins Spiel?“

Die Forschung, die Markus Aspelmeyer an der Universität Wien betreibt, ist absolute Grundlagenforschung, „Blue-Sky-Research“, die ein Feld, in dem Fall die Quantenphysik, voranbringen soll. Diese Art der Forschung ist weit von Anwendungen entfernt. Oder doch nicht? „Ich frage mich immer, an welcher Stelle im Forschungsprozess sich so etwas wie Dual Use einschleichen könnte“, so Aspelmeyer. „Wir arbeiten an ganz fundamentalen Fragen, um zu versuchen, die Grenzen des Wissens zu verschieben, was irgendwann am Ende vielleicht zu bahnbrechenden neuen Technologien führt. Das ist am Anfang gar nicht klar.“ Noch dazu arbeite er mit internationalen Forschungsteams auf der ganzen Welt zusammen „und wir veröffentlichen unsere Ergebnisse“. Das Einzige, was das Sicherheitsrisiko der Quantenforschung abmildere, sei die Tatsache, dass sie niemand versteht, meinte Aspelmeyer scherzend.

Die Form der Forschungsförderung in Österreich wirke wie ein Schutzschild: Anders als in den USA sei es möglich, mitten in einem bewilligten Projekt die Forschungsrichtung zu ändern. „Das sind große Spielräume“, so Aspelmeyer.

Ein Resümee

Die Abschlussfrage von Birgit Dalheimer: Welche eine Maßnahme ist für Forschungsförderung und -politik die wichtigste, um Freiheit und Autonomie der Forschung abzusichern?

Barbara Weitgruber

„Wir müssen uns nur klar machen, was im Vertrag der Europäischen Union steht. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist am 1. Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft getreten. Und in Artikel 13 heißt es, dass die Künste und die wissenschaftliche Forschung frei von Zwängen sind. Die akademische Freiheit ist zu respektieren. Dies gilt für alle EU-Mitgliedsstaaten, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und alle, die in Europa leben.“

Jens Jungblut

„Wir brauchen stabile, verlässliche und unterstützende Rahmenbedingungen auf europäischer, nationaler und institutioneller Ebene, die den Forschenden die Entscheidungsfreiheit belassen, ihnen aber auch die nötige Hilfe geben, damit sie ihre Arbeit in einer unterstützenden und sicheren Weise tun können.“

Manuel Heitor

„Schauen Sie sich die Zukunft der jungen Generationen an und verbessern Sie die Forschungskarrieren.“

Katalin Farkas

„Ich bin sehr besorgt, und ich weiß nicht, ob irgendeine Behörde oder Regierungseinrichtung etwas tun kann. Ich denke, es wird einen Punkt geben, an dem es von unserem individuellen Gewissen abhängt, ob wir für die Freiheit eintreten.“

Markus Aspelmeyer

„Schaffen Sie die Stundenzettel ab und stellen Sie mehr Geld für das ERC bereit.“

Keynote & Panel Debate

Die Paneldiskussion „Defining the Limits of Freedom and Autonomy in Research“ fand auf dem zweiten Think Beyond Summit des FWF am 20. Februar 2025 statt (Audio stream only).
Nach oben scrollen