„Verteidigung und Sicherheit der Bürger:innen sind neue Aufgaben der Wissenschaft“
Manuel Heitor steht als Leiter der Expert:innengruppe für die Evaluierung von Horizon Europe gewissermaßen an vorderster Front, wenn es um die Dilemmata der Wissenschaftsfreiheit geht. 2024 hat die Expert:innengruppe den nach ihm benannten Heitor-Report vorgelegt, in dem die erforderlichen Maßnahmen skizziert werden, um Horizon Europe, das zentrale Förderprogramm der EU für Forschung und Innovation, noch in den letzten zwei Jahren seiner Laufzeit (2025 bis 2027) so zu verändern, dass der europäische Forschungsraum vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen, technologischen und geopolitischen Herausforderungen gestärkt wird. Das nächste Forschungsrahmenprogramm (FP 10) soll dann das doppelte Volumen haben.
Die Gegenwart sei eine große Transformation, sagte Heitor, beschleunigt durch immer schneller sich entwickelnde Technologien. Wissenschaft, Innovation und Forschung sind plötzlich vitale Sicherheitsinteressen von Staaten geworden: „Wie können wir europäische Wettbewerbsfähigkeit im neuen Kontext von Verteidigung, Sicherheit und europäischer Autonomie verstehen?“ Echte europäische Autonomie in der Wissenschaft, erklärte Heitor weiter, müsste bedeuten, auf der einen Seite die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und zugleich neue Formen der globalen Kooperation zu finden – auch mit riskanten Partnern wie China oder den USA. „Abkoppeln und blockieren ist keine Lösung. Aber das heißt, dass Wissenschaftler:innen auf der Projektebene mehr Verantwortung übernehmen müssen, und das können sie nur, wenn die Integrität der Forschung auf institutioneller Ebene gewährleistet ist. Die Verteidigung und die Sicherheit der Bürger:innen sind neue Aufgaben der Wissenschaft.“
Europa habe das Potenzial, die Herausforderungen zu meistern – die Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte hätten das gezeigt, sagte Heitor mit Blick auf das vor 15 Jahren gegründete European Research Council (ERC) und das European Investment Council (EIC). Europa dürfe sich die Früchte dieser Anstrengungen nicht wegnehmen lassen. Wie im Bericht der Expert:innengruppe nachzulesen, wurde ein Großteil der durch das ERC geförderten Patente von amerikanischen Konzernen bzw. Investmentfonds genutzt und nicht in Europa. Auch in Europa gegründete Start-ups wanderten in die USA. „Daraus müssen wir die richtigen Lehren ziehen“, so Heitor abschließend: „Wir brauchen mehr Grundlagenforschung, mehr bahnbrechende Innovationen, mehr Zusammenarbeit und mehr kooperative Forschung. Dies wiederum erfordert unser besonderes Augenmerk für die nächsten Generationen.“
Autonomie in einer unsicheren Welt
Was bedeutet es vor dem Hintergrund politischer Verwerfungen und der unsicheren Weltlage für die Autonomie der Wissenschaften, wenn in Europa wissenschaftsfeindliche Parteien zunehmend an Bedeutung und zum Teil an Regierungsverantwortung gewinnen? Birgit Dalheimer stellte diese Frage an den Anfang der Paneldiskussion.