Bild der Podiumsdiskussion mit Expert:innen
Blickten im Stadtkino Wien in die Zukunft der künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung (v.l.n.r.): Anke Haarmann (Universität Leiden), Barbara Imhof (Universität Innsbruck), Marcel Bleuler (Zürcher Hochschule für Künste), Ruth Anderwald (Universität für angewandte Kunst Wien) sowie Moderatorin Marlene Nowotny (Radio Ö1). © FWF/Klaus Ranger

Ein Bio-Schuh, der aus Bakterien wächst, Tabus, die eine Gesellschaft verschweigt, sichtbar machen oder die Körpersprache der Chirurgie ergründen – drei Beispiele für Projekte, die künstlerische und wissenschaftliche Erkenntnisweisen zusammenführen. Mit dem in Europa einzigartigen Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) fördert der FWF seit 15 Jahren kunstbasierte Forschung, um innovative Ansätze der künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung zu ermöglichen.

Eva Kernbauer, FWF-Vizepräsidentin für den Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften, begrüßte gemeinsam mit FWF-Präsident Christof Gattringer rund 120 Gäste im Stadtkino Wien. Zu Beginn betonte sie die Bedeutung des PEEK-Programms: „Das PEEK-Programm hat maßgeblich zum Aufbau künstlerischer Forschung in Österreich beigetragen, es ist für den Wissenschaftsstandort ein über die Grenzen hinaus weit sichtbares Alleinstellungsmerkmal. Mit dieser Förderung trägt der FWF dazu bei, die nationale und internationale Bedeutung kunstbasierter Forschung zu erhöhen. Wir freuen uns sehr über die inhaltliche Breite sowie die stark interdisziplinär und kollaborative Ausrichtung der knapp 130 geförderten Projekte.“

Moderiert von der Ö1-Journalistin Marlene Nowotny, diskutierten im Anschluss die PEEK-geförderten Forschenden Ruth Anderwald und Barbara Imhof gemeinsam mit Anke Haarmann von der Universität Leiden sowie mit Marcel Bleuler von der Zürcher Hochschule der Künste. 

Gemeinsame Ziele und Herausforderungen der Arts-based Research

Einigkeit herrschte unter den Diskutant:innen darüber, dass künstlerische Forschung als junges, interdisziplinäres Feld großes Potenzial aufweist, die Grenzen von Kunst und Wissenschaft zu verschieben. Barbara Imhof betonte, dass der künstlerische Ansatz durch experimentelle und iterative Methoden die streng regulierten naturwissenschaftlichen Ansätze ideal ergänzt. Marcel Bleuler hob hervor, dass künstlerische Forschung neue Perspektiven eröffnet, indem sie sich an unterschiedliche Zielgruppen richtet und vielseitige Bedürfnisse anspricht. Anke Haarmann unterstrich die Bedeutung, Begrifflichkeiten und Methoden dieser Disziplin weiterzuentwickeln. Dabei zog sie Parallelen zur historischen Entwicklung der Naturwissenschaften und verwies darauf, dass künstlerische Forschung durch ihre Offenheit für neue Denkansätze besonders fruchtbar ist. „Es geht darum, Forschung auf den Weg zu bringen, die mit den Mitteln der künstlerischen Arbeit Fragen beantwortet und nach bestimmten Formen von Antworten sucht, ohne dabei auf Lösungen ausgerichtet zu sein“, so Anke Haarmann.

Kontroverse: Kunst als Forschung?

Eine zentrale Debatte drehte sich um die Definition und Abgrenzung künstlerischer Forschung. „Was wäre denn Forschung, wenn sie jegliche kreative oder kunstbasierte Kontexte oder Ansätze ausschließen würde?“, fragte Ruth Anderwald. Für sie ist die Bezeichnung „künstlerische Forschung“ eine Tautologie, da Forschung per se einen kreativen Charakter habe. In diesem Zusammenhang liegt der Unterschied nicht in der Methode, sondern im Grad der Reflexivität: Künstlerische Forschung verlangt, dass jeder Schritt im Prozess kritisch hinterfragt wird.

Marcel Bleuler hinterfragte die institutionalisierten Ansätze kritisch, die einige Künstler aus älteren Generationen als Einschränkung empfinden könnten. Er plädierte für eine Balance zwischen institutioneller Unterstützung und der Beibehaltung eines experimentellen Charakters.

FWF-Förderprogramm PEEK als Vorreiter in Europa

Das PEEK-Programm des FWF, das für „Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste“ steht, wurde von allen Panelteilnehmer:innen als wegweisend gelobt. Marcel Bleuler hob hervor, dass Österreich dadurch im Vergleich zu anderen Ländern als Vorreiter in der Förderung künstlerischer Forschung gilt. Barbara Imhof sprach von der internationalen Anerkennung des Programms und schlug vor, es als Modell für eine europaweite Förderung zu etablieren. Anke Haarmann wünschte sich in dem Zusammenhang eine Abkehr von den epistemologischen Legitimationsdebatten, die in einigen Ländern immer noch geführt werden. Sie kritisierte insbesondere die deutschen Strukturen und merkte an, dass es 200 Jahre dauerte, bis die Naturwissenschaften ihre heutige Anerkennung erlangten.

Künstlerische Forschung als Motor für Innovation

Die gesellschaftliche Relevanz der künstlerischen Forschung wurde mehrfach betont. Ruth Anderwald verwies beispielsweise auf ihre Arbeiten zum Konzept des „Taumels“, das bei interdisziplinären Projekten als Ressource genutzt wurde, etwa in der Kreativitätsforschung oder bei unterschiedlichen Ausstellungen. Barbara Imhof berichtete wiederum von ihren Projekten, in denen sie biologische Prinzipien wie Wachstum oder Materialbildung auf Architektur übertrug und somit neue Designstrategien in unterschiedlichen Anwendungsfeldern eröffnet: „Und das beinhaltet auch oft, dass man gemeinsam mit Personen aus den Natur- oder Geisteswissenschaften, aber auch Ingenieurswissenschaften, arbeitet und auch deren Methoden ausprobiert. So können sich neue Perspektiven und damit auch neue Ergebnisse ergeben“. Anke Haarmann sah in der künstlerischen Forschung einen Schlüssel, um alternative Zugänge zu Krisen und Herausforderungen aufzuzeigen. Sie warnte jedoch vor einer Überbetonung von Problemlösungen und betonte die Stärke der Kunst, neue Verständnisebenen zu schaffen. Marcel Bleuler ergänzte: „Es gibt verschiedene Arten, Wissen erfahrbar zu machen. Ich glaube, dass Künstler:innen das Potenzial haben, neue Perspektiven für Forschende und Gesellschaft zugänglich zu machen“.

Blick in die Zukunft der Arts-based Research

Zum Abschluss der Diskussion formulierten die Teilnehmer:innen ihre Wünsche für die nächsten 15 Jahre künstlerischer Forschung. Ruth Anderwald sprach sich für mehr Diversität und weitere alternative Förderansätze aus. Marcel Bleuler plädierte für Flexibilität, um das Feld nicht durch übermäßige Institutionalisierung einzuengen. Barbara Imhof wünschte sich eine stärkere europäische Vernetzung, während Anke Haarmann auf die Notwendigkeit zusätzlicher finanzieller Mittel und einer Entlastung von Legitimationsdebatten hinwies.

Einigkeit bestand darin, dass künstlerische Forschung einen bedeutenden Beitrag zu einer transdisziplinären, kooperativen Wissenschaftslandschaft leistet. Ihre Stärke liegt in der Fähigkeit, neue Perspektiven zu schaffen, die weit über die etablierten Grenzen der Disziplinen hinausgehen.

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