Rolle der neutralen Staaten in der sowjetischen Außenpolitik
The Role of the Neutral States in Soviet Foreign Policy Strategy, 1969–1975
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (100%)
Keywords
-
Soviet Union,
Cold War,
CSCE,
Austria,
Sweden,
Helsinki accords
Das geplante österreichisch-russische Forschungsprojekt, das in enger Kooperation mit internationalen Partnern wie der Harvard University und der Stockholm University durchgeführt wird, widmet sich der Entstehungsgeschichte des KSZE-Prozesses. Konkret geht es der Frage nach, wie Moskau damals die Rolle der vier neutralen Staaten Österreich, Schweden, Finnland und der Schweiz sah, wie die UdSSR diese Staaten für ihre Interessen nutzte, sie mitunter sogar manipulierte bzw. ob und inwiefern sich die Aktivitäten der neutralen Staaten in Entscheidungen in Moskau manifestierten. Aufgrund der bislang in russischen Archiven zu diesem Zeitraum (1969-75) gesperrten Akten, konnte die sowjetische Politik zu den neutralen Staaten nicht erforscht werden. Nunmehr, mit der kürzlich erfolgten Deklassifizierung der Aktenbestände des Zentralkomitees der KPdSU, kann erstmals eingehend die sowjetische Politik im Hinblick auf diese vier neutralen Staaten während dieser entscheidenden Phase der Entspannung zwischen Ost und West sowie des KSZE-Prozesses analysiert werden. Die dem Projektteam zur Verfügung stehende Quellenbasis eröffnet wissenschaftliches Neuland. Zu nennen sind dabei vor allem der Bestand des KPdSU-Generalsekretärs Leonid Breschnjew und des Politbüros, die im Russischen Staatsarchiv für Zeitgeschichte verwahrt werden (RGANI) und erst kürzlich deklassifiziert wurden. Wie in den früheren internationalen Forschungsprojekten des Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung werden die Projektergebnisse in verschiedenen Publikationen auf Deutsch und Russisch der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf Englisch erschienen bislang drei Bücher des Instituts in der renommierten Reihe der Harvard Cold War Studies Book Series.
Neutralität in den Ost-West-Beziehungen rückte durch die russische Invasion in die Ukraine im Februar 2022 sowie den infolgedessen angestrebten bzw. bereits erfolgten NATO -Beitritt Schwedens und Finnlands wieder in den Fokus. Das vom FWF geförderte Forschungsprojekt The Role of Neutral States in Soviet Foreign Policy Strategy, 1969 1975 unter der Leitung von Priv.-Doz. Peter Ruggenthaler widmete sich der sowjetischen Politik gegenüber den neutralen Staaten Finnland, Schweden, die Schweiz und Österreich in der entscheidenden Phase der Ost-West-Entspannung und der KSZE-Verhandlungen im Kalten Krieg. Es war Moskau, das seit Mitte der 1950er-Jahre auf eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung pochte und lange um westliche Zustimmung rang. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid I. Brežnev, griff die alte sowjetische Idee wieder auf und erreichte mit Beharrlichkeit und Pragmatismus, dass aus der Idee ein Projekt und aus dem Projekt Wirklichkeit wurde. In der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki 1975 wurden Prinzipien für die Beziehungen zwischen den 35 Signatarstaaten den europäischen Staaten inkl. der Sowjetunion sowie die USA und Kanada formuliert, die als Kernstück unter anderem den Gewaltverzicht, die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Achtung der Menschenrechte und die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten beinhalten. Zusätzlich wurde ein Rahmen für die gesamteuropäische Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Technik geschaffen und humanitäre Fragen als Bestandteil der internationalen Beziehungen definiert. Für die Realisierung der Konferenz setzte Brežnev insbesondere auf die Fürsprache der kleineren un d neutralen Staaten Europas, die schließlich gleichberechtigt mit am Verhandlungstisch saßen, sich untereinander eng abstimmten und denen deswegen vergleichsweise großer Einfluss in der internationalen Diplomatie zukam. Während das KSZE-Projekt für Finnland eine weitere Etappe war, um den sowjetischen Einfluss zu minimieren, agierten Schweden und die Schweiz anfangs zurückhaltend. Für den österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky war die KSZE von drei Enttäuschungen geprägt: sie fand schlussendlich nicht in Wien statt, die Nahostfrage stand nicht auf der Tagesordnung und vor Ort in Genf und Helsinki verhandelten Diplomaten anstatt von Staats- und Regierungsvertretern. Die österreichischen Diplomaten setzten sich erfolgreich für den sogenannten Dritten Korb (humanitäre Bestimmungen), ein. Dabei stießen sie auf Widerstand auch bei Kreisky, der nicht daran glaubte, dem Osten durch ein Konferenzpapier Konzessionen abringen zu können. Moskau sah in Kreisky einen möglichen Erfüllungsgehilfen, um die Korb-3-Verhandlungen zu einem schnellen Ende zu bringen. Tatsächlich sprach Kreisky sich bei seinem Moskau-Besuch 1974 für einen schnellen Abschluss aus, auch weil er Österreich als wirtschaftliche Hochburg für die Zusammenarbeit mit dem Osten sah, wie Dr. Anna Graf-Steiner in ihrer im Herbst 2023 bei Leykam erscheinenden Monografie darlegt. In enger Kooperation mit den Universitäten Harvard, Stockholm, Helsinki und Kollegen aus der Schweiz befinden sich weitere (gemeinsame) Publikationen in Vorbereitung.
- Universität Graz - 40%
- Ludwig Boltzmann Gesellschaft - 60%
- Barbara Stelzl-Marx, Universität Graz , assoziierte:r Forschungspartner:in
- Hanns Jürgen Küsters, Konrad-Adenauer-Stiftung - Deutschland
- Olga Pavlenko, Lomonosov Moscow State University - Russland
- Aryo Makko, Stockholm University - Schweden
- Mark Kramer, Harvard University - Vereinigte Staaten von Amerika
Research Output
- 12 Publikationen
- 2 Disseminationen
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2024
Titel Österreich als Vermittler im Kalten Krieg? DOI 10.15203/4152.vol53.2024 Typ Journal Article Autor Graf-Steiner A Link Publikation -
2020
Titel Entspannung im Kalten Krieg. Der Weg zum Moskauer Vertrag und zur KSZE Typ Book Autor Ruggenthaler P. editors Borchard M., Karner St., Küsters H. J., Ruggenthaler P. Verlag Leykam -
2020
Titel Einleitung; In: Entspannung im Kalten Krieg. Der Weg zum Moskauer Vertrag und zur KSZE Typ Book Chapter Autor Ruggenthaler P. Verlag Leykam Seiten 11-30 -
2020
Titel Der Weg nach Helsinki. Entspannung mit Bonn als letzte Etappe auf dem Weg zur Einberufung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa; In: Entspannung im Kalten Krieg. Der Weg zum Moskauer Vertrag und zur KSZE Typ Book Chapter Autor Ruggenthaler P. Verlag Leykam Seiten 677-701 -
2020
Titel Novyj Mir v Evrope. SSSR, FRG i Moskovskij Dogovor 1970 goda po dokumentam CK KPSS. Sbornik dokumentov. [New Peace in Europe. The USSR, FRG and the Moscow Treaty 1970 on the basis of documents from the Central Committee of the CPSU] Typ Book Autor Ruggenthaler P. editors Ruggenthaler P., et. al Verlag Rosspen -
2022
Titel Germany and the Soviet Union; In: The Oxford Handbook of German Politics Typ Book Chapter Autor Ruggenthaler P. Verlag Oxford University Press Seiten 82-102 -
2022
Titel Österreich und der Kalte Krieg. Ein Balanceakt zwischen Ost und West Typ Book Autor Bischof G. Verlag Leykam -
2021
Titel Entspannung trotz Krisen? Zu den Beziehungen zwischen Österreich und Polen vom Staatsvertrag bis zum Ende des Kalten Krieges 1955-1990; In: Österreich - Polen. Stationen gemeinsamer Geschichte im 20. Jahrhundert Typ Book Chapter Autor Ruggenthaler P. Seiten 223-238 -
2021
Titel Introduction; In: The Soviet Union and Cold War Neutrality and Nonalignment in Europe. Typ Book Chapter Autor Ruggenthaler P. Verlag Lexington Books Seiten 1-11 -
2021
Titel A Hidden Danger for the Eastern Bloc? Neutral Austria in the Soviet Policy from 1955 to the End of the Cold War; In: The Soviet Union and Cold War Neutrality and Nonalignment in Europe Typ Book Chapter Autor Ruggenthaler P. Verlag Lexington Books Seiten 148-170 -
2021
Titel The Soviet Union and Cold War Neutrality and Nonalignment in Europe Typ Book Autor Kramer Mark Verlag Lexington Books -
0
Titel Kreisky, the Soviet Union, and the Helsinki Process; In: Bruno Kreisky's Foreign Policy: A Reassessment (= Contemporary Austrian Studies, 32) Typ Book Chapter Autor Graf-Steiner A.