Die Schaffung einer akademischen Disziplin
Creating an Academic Discipline
Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (10%); Kunstwissenschaften (70%); Philosophie, Ethik, Religion (20%)
Keywords
-
Eduard Hanslick,
Guido Adler,
Musicology,
Methdology,
Art History,
Vienna
Das vorliegende Forschungsprojekt untersucht die gleichzeitige Entstehung von Musikwissenschaft und Kunstgeschichte als akademische Disziplinen an der Universität Wien im Rahmen einer durch Leopold Graf von Thun und Hohenstein (18111888) geleiteten Unterrichtsreform. Diese Reform, angestoßen von der Revolution 1848/1849, welche manche europäische Staatsmacht tiefgreifend erschüttert hatte, führte zu einer Unterteilung der allgemeinen Kunsttheorie der Philosophie in spezifischere akademische Disziplinen. Als Folge dessen erhielt Rudolf von Eitelberger (18171885) im Jahr 1852 eine außerordentliche Professur für Kunstgeschichte, zu der sich vier Jahre später die Dozentur für Geschichte und Aesthetik der Tonkunst von Eduard Hanslick (18251904) gesellte, die früheste derartige Position im deutschen Sprachraum. Beide Disziplinen entstanden demgemäß vor einem Hintergrund, der tiefgreifend von politischen und kulturellen Interessen geprägt war. Wenn Thun im Hinblick auf die geänderte politische Ge- mengelage zum einen die systematische Modernisierung der Habsburgischen Bildungsanstalten im Auge hatte, war ihm zum anderen daran gelegen jenen liberalen Kräften Einhalt zu gebieten, die als Hintergrund der Revolution galten. Zudem musste Thun die steigenden nationalen Spannungen und Sprachkonflikte der multiethnischen Monarchie berücksichtigen, die den Aufstand befeuert hatten. Musikwissenschaft und Kunstgeschichte, die nonverbale Künste erforschen, rückten bei der Pflege des kulturell neutralen Positivismus ins Zentrum, der als objektive Methode ohne alle kulturelle und politische Vorurteile galt. Beide Fächer wurden folglich im Grenzbereich von Wissenschaft und Politik gegründet und eröffnen Einblicke in die komplexe Beziehung dieser Faktoren. Neben diesem Netzwerk aus Politik, Kultur und Wissenschaft untersucht das Projekt ebenso die Evolution der Methodik der Musikwissenschaft und den Transfer von Begriffen und Modellen zwi- schen frühen Vertretern der Musikwissenschaft und Kunstgeschichte. Dabei werden vor allem die Schriften des Hanslick-Schülers Guido Adler (18551941) analysiert, der das Institut für Musikwis- senschaft der Universität Wien aufgebaut hat und dessen überaus zentraler Stilbegriff von kunst- historischen Vorbildern wie Alois Riegls (18581905) Kunstwollen inspiriert war. Adler gründete ebenfalls die Denkmäler der Tonkunst in Österreich, ein weiterhin laufendes Editionsprojekt, das musikalische Meisterwerke Österreichs bewahren und vorstellen soll. Dieses Projekt, das von unterschwelliger Identitätspolitik durchdrungen ist, entstand im Austausch mit kunsthistorischen Überlegungen zum Denkmalschutz. Das vorliegende Unterfangen wird somit zeigen, dass beide akademische Disziplinen mit Methoden arbeiteten, die nicht nur abstrakten fachlichen Diskursen entstammten, sondern zugleich auf konkrete politische Anliegen reagierten.
Das Projekt untersuchte die Anfänge der Musikwissenschaft als universitärer Fachrichtung im Wien des neunzehnten Jahrhunderts. Drei Fragen standen dabei im Vordergrund: (1) Die Problematisierung des Begriffs Musikwissenschaft selbst, das heißt die Frage nach den entscheidenden Eigenschaften dieser Disziplin und was sie von Musikgeschichte, Musikphilosophie oder Musikphilologie unterscheidet. Wichtig war hier für mich die im deutschen Sprachraum frühzeitig verbreitete (und im internationalen Vergleich ungewöhnliche) Einbindung nicht nur ethnologischer, sondern ebenso psychologischer, physiologischer und physikalischer Ansatzpunkte, die sogenannte Systematische Musikwissenschaft. Während erstere etwa auch Teil der englischsprachigen Musikwissenschaft sind (Ethnomusicology), sind letztere ein Markenzeichen des Fachs im deutschen Sprachraum, was die Bestimmung des Zeitpunkts seiner Entstehung nachhaltig beeinflusst. Das Projekt erforschte damit zusammenhängend (2) die wissenschafts- und kulturpolitischen Hintergründe von Eduard Hanslicks und Guido Adlers Verständnis der Musikwissenschaft, die unter obiger Begriffsbestimmung als Gründungsfiguren des Faches betrachtet werden können. Hier konnte ich zeigen, dass Hanslicks und Adlers Projekte und Methoden nicht nur von innerwissenschaftlichen Entwicklungen und Gegebenheiten abhingen, sondern zusätzlich tiefgreifend von den zunehmenden Problemen des Österreichischen Vielvölkerstaats geprägt waren. Dieser verfolgte die (letztlich zum Scheitern verurteilte) Strategie, religiöse, kulturelle oder ethnische Spannungen dadurch zu bewältigen, dass diese schlicht unter den Teppich gekehrt wurden. Demgegenüber förderte man positivistische Forschungen, das heißt das Sammeln und Analysieren des faktisch und objektiv Gegebenen unter Ausblendung politisch heikler Fragen und Themen. Dieser Denkansatz macht sich nicht nur in Hanslicks Vom Musikalisch-Schönen bemerkbar, das noch heute ein Grundlagentext der Musikphilosophie ist, sondern ebenso in Adlers Werken, speziell der von ihm begründeten Editionsreihe Denkmäler der Tonkunst in Österreich (DTÖ). In diesem Zusammenhang war ich (3) daran interessiert, inwieweit Hanslicks und Adlers Ideen von der zeitgleich entstehenden, aber doch etwas älteren akademischen Fachrichtung der Kunstgeschichte und ihren wichtigsten damaligen Vertretern in Wien (Rudolf Eitelberger, Moritz Thausing, Alois Riegl, etc.) beeinflusst worden waren. Abgesehen von Parallelen dieser Fächer, die mit den in (2) untersuchten Gesichtspunkten erklärt werden können, konzentrierte ich mich hier auf zwei wesentliche Begriffe in Adlers Denken mit klaren Bezügen zur Kunstgeschichte: den Stilbegriff und den Begriff des Denkmals. Während letzterer das Prestigeprojekt der DTÖ mitbestimmte, war ersterer von entscheidender Bedeutung für Adlers Methode der Musikwissenschaft, die er als Stilgeschichte konzipierte. Dabei stellte sich heraus, dass Adler sich aber nicht auf einen bestimmten Stilbegriff der Kunstgeschichte bezog, sondern mehrere Begriffe (speziell jene von Alois Riegl und Gottfried Semper) für seine Zwecke nutzte und für die Musikforschung adaptierte. Alle drei Fragen und die in Vorträgen und Aufsätzen erarbeiteten Antworten tragen zu einem besseren Verständnis der Entstehung der Musikwissenschaft generell und ihrer besonderen Ausprägung im deutschen Sprachraum bei. Besonders die Überschneidung mit der frühen Kunstgeschichte hat sich als fruchtbare Fragestellung erwiesen, der weitere Forschung folgen soll.
- Max Planck Institute - 50%
- Masarykova Univerzita - 50%
Research Output
- 11 Publikationen
- 1 Policies
- 7 Disseminationen
- 3 Wissenschaftliche Auszeichnungen
- 2 Weitere Förderungen
-
2023
Titel Musicologica Austriaca: Hintergründe, Entwicklung und Schwerpunkte der Zeitschrift der Österreichischen Gesellschaft für Musikwissenschaft DOI 10.52412/mf.2023.h4.3114 Typ Journal Article Autor Wilfing A Journal Die Musikforschung Seiten 393-409 -
2023
Titel Musik, Maß, Genie. Grillparzers Bezugnahme auf Kants (Musik-)Ästhetik DOI 10.14220/9783737015271.233 Typ Book Chapter Autor Wilfing A Verlag Brill Deutschland Seiten 233-264 -
2021
Titel Aesthetics, Education, Liberalism: Eduard Hanslick's Vom Musikalisch-Schönen (1854) and its Socio-Political Contexts; In: Music, Arts, and Politics: Revolutions and Restorations in Europe and Croatia, 1815-1860: On the Occasion of the 200th Anniversary of Vatroslav Lisinski and the 160th Anniversary of the Death of Ban Josip Jelačić Typ Book Chapter Autor Wilfing A Verlag Croatian Academy of Sciences and Arts / Croatian Musicological Society Seiten 565-578 -
2023
Titel Visualizing Music Histories? The 1892 International Exhibition of Music and Drama and Beyond Typ Other Autor Strumbl M Link Publikation -
2023
Titel Austrian Music Studies: Topics, Perspectives, Concepts Typ Other Autor Celestini F Link Publikation -
2023
Titel Franz Seraphicus Grillparzer, Der arme Spielmann; In: Lexikon Schriften über Musik, vol. 2, Musikästhetik in Europa und Nordamerika Typ Book Chapter Autor Wilfing A Verlag Bärenreiter; Metzler Seiten 295-296 Link Publikation -
2023
Titel Eduard Hanslick, Censur und Kunst-Kritik; In: Lexikon Schriften über Musik, vol. 2, Musikästhetik in Europa und Nordamerika Typ Book Chapter Autor Wilfing A Verlag Bärenreiter; Metzler Seiten 314-316 Link Publikation -
2023
Titel Eduard Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst; In: Lexikon Schriften über Musik, vol. 2, Musikästhetik in Europa und Nordamerika Typ Book Chapter Autor Landerer C Verlag Bärenreiter; Metzler Seiten 316-319 Link Publikation -
2023
Titel Karl August Timotheus Kahlert, System der Aesthetik; In: Lexikon Schriften über Musik, vol. 2, Musikästhetik in Europa und Nordamerika Typ Book Chapter Autor Wilfing A Verlag Bärenreiter; Metzler Seiten 426-428 Link Publikation -
2021
Titel Meaning and Value in Romantic Musical Aesthetics DOI 10.1017/9781108647342.013 Typ Book Chapter Autor Wilfing A Verlag Cambridge University Press (CUP) Seiten 183-198 -
2022
Titel Gurney, Edmund; In: Musik in Geschichte und Gegenwart online Typ Book Chapter Autor Wilfing A Verlag Bärenreiter; Metzler Link Publikation
-
2021
Link
Titel Creation of YouTube Channel Typ Engagement focused website, blog or social media channel Link Link -
2023
Titel Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Musikwissenschaft(en) Typ Participation in an activity, workshop or similar -
2021
Titel Presentation of "Hanslick Online" at the "Research Lunch" series of the Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage, Vienna (February 2021) Typ A formal working group, expert panel or dialogue -
2022
Link
Titel Presentation of the project outline of "In Search of Identity: The Histories and Synergies of Musicology and Art History" (idea of an ERC-StG), Institute of Austrian and German Music Research, Surrey (April 2022) Typ A formal working group, expert panel or dialogue Link Link -
2022
Titel Presentation of the project outline of "In Search of Identity: The Histories and Synergies of Musicology and Art History" (idea of an ERC-StG), research seminar, Centre for Modern Art and Theory, Brno (May 2022) Typ A formal working group, expert panel or dialogue -
2022
Titel Presentation of the project outlines of "Creating an Academic Discipline" and "In Search of Identity: The Histories and Synergies of Musicology and Art History" (idea of an ERC-StG), Music Department, Max Planck Institute for Empirical Aesthetics, Frankfurt a.M. (January 2022) Typ A formal working group, expert panel or dialogue -
2022
Link
Titel Presentation of the project outlines of "Creating an Academic Discipline" and "In Search of Identity: The Histories and Synergies of Musicology and Art History" (idea of an ERC-StG), Research Group "Histories of Music, Mind, and Body," Max Planck Institute for Empirical Aesthetics, Frankfurt a.M. (February 2022) Typ A formal working group, expert panel or dialogue Link Link
-
2022
Titel Editorial board member, International Review for the Aesthetics and Sociology of Music Typ Appointed as the editor/advisor to a journal or book series Bekanntheitsgrad Continental/International -
2021
Titel Advisory board member, Institute of Austrian and German Music Research, University of Surrey Typ Prestigious/honorary/advisory position to an external body Bekanntheitsgrad Continental/International -
2021
Titel International Coordinator (Austria), Music & Philosophy Study Group, Royal Musical Association Typ Prestigious/honorary/advisory position to an external body Bekanntheitsgrad Continental/International
-
2023
Titel Vossius Center for the History of Humanities and Sciences Typ Fellowship Förderbeginn 2023 Geldgeber University of Amsterdam -
2022
Titel Stand-Alone Project Typ Research grant (including intramural programme) Förderbeginn 2022 Geldgeber Austrian Science Fund (FWF)