Wissenschaftsdisziplinen
Soziologie (100%)
Keywords
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Social Inequality,
Labour Migration,
Agricultural Employment,
Administrative History,
Labour Market,
History Of Work
Was wir heute unter Arbeit verstehen, ist historisch relativ neu. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Beruf im Sinne einer gelernten, kontinuierlichen, außerhäuslichen Erwerbsarbeit immer mehr zum Leitbild und Maßstab für alle anderen Möglichkeiten, sich ein Auskommen zu erwirtschaften. Dazu trugen gerade Behörden, Gerichte, staatliche Einrichtungen wie die Arbeitsämter oder Parlamente bei, etwa indem sie Rechte und Pflichten der Arbeitsparteien in Gesetzen festschrieben, Ausbildungen regelten, Sozialversicherungen aufbauten oder die Arbeitsmigration mit neuen Mitteln begrenzten oder förderten. Im Zuge dessen veränderten sich auch landwirtschaftliche Arbeitsverhältnisse, die in Österreich in der Zwischenkriegszeit rechtlich neu geregelt und teilweise in Sozialversicherungen einbezogen wurden. Aber sogar unter Staatsorganen blieb umstritten, wie die Tätigkeiten von DienstbotInnen, LandarbeiterInnen, TagelöhnerInnen etc. einzuordnen und zu regulieren waren. Während manche Behörden etwa darauf abzielten, landwirtschaftliche Tätigkeiten in die Maßnahmen zur Verwaltung des gewerblichen Arbeitsmarkts einzubeziehen, pochten andere auf die Besonderheiten von Landarbeit und damit auf eigens zugeschnittene Formen der Regulation. Das Projekt macht sich diese Streitigkeiten und die behördlichen Maßnahmen zur Regelung landwirtschaftlicher Beschäftigung zum Gegenstand. Es geht von der These aus, dass im Zuge von Konflikten, Konkurrenzen oder Koalitionen zwischen unterschiedlichen Behörden neue Formen der landwirtschaftlichen Arbeitsorganisation durchgesetzt wurden, die mit den übergreifenden Veränderungen von Arbeit im Zusammenhang standen. Das Projekt untersucht die Maßnahmen der Behörden und deren Auseinandersetzungen im Detail und prüft, inwiefern die damit einhergehenden Veränderungen landwirtschaftlicher Arbeit zu neuen Hierarchien zwischen Beschäftigten führten. Dazu wird behördliches Aktenmaterial von der lokalen bis zur Ebene der Ministerien aus unterschiedlichen Bereichen der Verwaltung mit Hilfe von Korrespondenzanalysen einem systematischen Vergleich unterzogen. Auf dieser Grundlage arbeitet es Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen behördlichen Perspektiven und Maßnahmen sowie deren Veränderungen und Auswirkungen auf landwirtschaftliche Arbeit heraus. In der historischen Forschung steht eine eingehende Beschäftigung mit diesen Fragen noch aus. Das Projekt leistet daher einen Beitrag zur Forschung über Kontinuitäten und Wandel landwirtschaftlicher Arbeitsorganisation, der auch Antworten zu heutigen Problemen (wie dem Mangel an Regulation in der Beschäftigung von ErntehelferInnen) liefern kann. Da die staatlichen Eingriffe in die Landarbeit nicht isoliert, sondern im Verhältnis zu jenen Maßnahmen betrachtet werden, die gewerbliche Arbeit betrafen, erlaubt das Projekt darüber hinaus ein besseres Verständnis der Geschichte der Arbeit selbst.
Die Ausweitung arbeitsbezogener Rechte und Ansprüche in der Zwischenkriegszeit in Österreich machte vor Landarbeiter*innen nicht halt. Allerdings blieb das Arbeitsrecht für sie vage und ihr Anteil an sozialen Rechten und Ansprüchen ambivalent. Wie abhängige landwirtschaftliche Arbeit einzuordnen und zu organisieren sei, war unter Behörden, Politiker*innen, Interessenorganisationen, Arbeitgeber*innen und Landarbeiter*innen selbst umstritten. War Landarbeit eine Arbeit wie jede andere und daher an die gewerbliche Arbeit anzupassen? Oder zeichnete sie sich durch Besonderheiten wie ihre Abhängigkeit von Klima, Wetter und Natur aus, so dass ein eigens auf die Landwirtschaft zugeschnittenes Recht notwendig wurde? Die Auseinandersetzungen berührten jeden Bereich landwirtschaftlicher Arbeitsverhältnisse und der Mobilität von Arbeitskräften. Ihre Untersuchung erlaubte es nachzuvollziehen, wie landwirtschaftliche Arbeitskräfte untereinander und zu anderen Arbeitskräften ins Verhältnis gesetzt wurden. Damit trägt diese Studie dazu bei, die bis heute relevante Herstellung von Ungleichheit im Status und den Rechten von Arbeitskräften besser zu verstehen. So dienten Verweise auf die spezifischen Charakteristika der Landwirtschaft dazu, Landarbeiter*innen aus manchen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung herauszuhalten. Die Arbeitslosenversicherung wurde ihnen etwa mit dem Verweis verwehrt, dass Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft undenkbar sei. Welche Arbeitskräfte allerdings als landwirtschaftliche, welche als gewerbliche Arbeitnehmer*innen zu verstehen waren, war angesichts der Vielfalt unterschiedlicher Arbeitsarrangements auf Bauernhöfen zum Teil unklar. Mit Blick auf die fließenden Übergänge zwischen Erwerb/Lohn und Mithilfe/Unterhalt oder zwischen Selbstständigkeit und Beschäftigung stritten Behörden, Sozialversicherungsträger oder Arbeitsparteien sogar darüber, wer überhaupt als (abhängige) Arbeitskraft zu verstehen war. In langwierigen Verfahren bedurfte es der Anstrengungen von Behörden, Arbeitskräfte zu kategorisieren und ihnen dementsprechend soziale Rechte und Ansprüche zuzuweisen. Einerseits trugen Behörden, aber auch Arbeitgeber*innen oder Arbeitskräfte dazu bei, die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit sowie zwischen Gewerbe und Landwirtschaft erst in aller Klarheit herzustellen. Andererseits festigten die Verfahren die Hierarchie zwischen Arbeitskräften nach Geschlecht, sozialer und regionaler Herkunft, Staatsbürgerschaft oder körperlichem Arbeitsvermögen. Welche Nichtösterreicher*innen überhaupt Zugang zur Beschäftigung erlangen sollten, war umkämpft. Behörden strebten eine zentrale Steuerung des Arbeitsmarkts an, auf dem Österreicher*innen gegenüber ausländischen Staatsbürger*innen privilegiert sein sollten. Viele mobile Arbeitskräfte unterliefen die Regelungen. Zudem scheiterten Behörden mit dem Ziel eines Arbeitsmarktausgleichs durch die Vermittlung Arbeitsloser in die Landwirtschaft. Aber sie festigten die Rangfolge von Saisonarbeiter*innen qua Staatsbürgerschaft: Österreicher*innen erhielten eher Arbeit zugewiesen und ihnen wurden höhere Vergütungen und bessere Bedingungen zu Teil.
- Institut für Geschichte des ländlichen Raumes - 100%
- Peter Moser, Archiv für Agrargeschichte - Schweiz
- Juri Auderset, University of Bern - Schweiz
Research Output
- 3 Publikationen
- 3 Disseminationen
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2023
Titel New rights and hierarchies DOI 10.4324/9781003261261-8 Typ Book Chapter Autor Richter J Verlag Taylor & Francis Seiten 119-140 -
2024
Titel Construction of Il/Legitimate Migrant Labor: Non-Nationals in Domestic Service and Gardening in Interwar Austria DOI 10.1017/s0067237824000572 Typ Journal Article Autor Richter J Journal Austrian History Yearbook Seiten 374-386 -
2020
Titel Geordnete Wanderungen, gesteuerte Arbeitssuche? DOI 10.25365/oezg-2020-31-1-6 Typ Other Autor Richter J Link Publikation
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2023
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Titel Episode in radio show "Betrifft: Geschichte" on mobility in rural areas Typ A press release, press conference or response to a media enquiry/interview Link Link -
2023
Link
Titel Exhibition Typ Participation in an activity, workshop or similar Link Link -
2021
Link
Titel Full-day workshops on the history of work and leisure for young students Typ Participation in an activity, workshop or similar Link Link