Wissenschaftsdisziplinen
Kunstwissenschaften (80%); Sprach- und Literaturwissenschaften (20%)
Keywords
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Gesture,
Pointing,
Eye Tracking,
Painting,
Sign Language
Dank neuer Eye-Tracking-Technologien ist es möglich, den Blickverlauf von Personen bei der Betrachtung von Gemälden mit großer Genauigkeit zu untersuchen. Es existieren mehrere Faktoren bei denen davon ausgegangen wird, dass sie die Aufmerksamkeit der Kunstbetrachter*innen lenken. Dazu zählt auch ein sehr offensichtliches Element, das aber noch nie theoretisch oder empirisch untersucht wurde: Der Zeigegestus. Dabei ist weitläufig bekannt, dass die Maler*innen der frühen Neuzeit den deutenden Zeigefinger in einer großen Breite von Bildthemen und Gattungen dargestellt haben, um das Verstehen des Inhalts zu erleichtern. In der Regel haben zeigende Chirogramme (grafisch dargestellte Handzeichen) wichtige Funktionen: Sie betonen Schlüsselelemente des Sujets, eröffnen wichtige Verbindungen zwischen den Figuren, leiten die Richtung an, weisen auf weniger sichtbare Details hin etc. Manche Bildausführungen sind einfach mit nur einem zeigenden Finger während andere mehrere Gesten enthalten, die in verschiedene Richtungen zeigen und unterschiedliche Bedeutungen haben. In diesem Projekt werden wir zum ersten Mal eine umfassende statistische Erhebung der Zeigeges ten in der frühneuzeitlichen Malerei durchführen und entsprechend ihrer Funktionen relevante typologische Kategorien bilden. So können wir feststellen, wie oft Maler*innen diese Zeichen verwenden und zu welchem Zweck. Ähneln die Zeigegesten in der Malerei jenen des alltäglichen Lebens bzw. der Gebärdensprache? Oder haben sie einige einzigartige linguistische Eigenschaften? Im zweiten Schritt führen wir Eye-Tracking-Experimente durch, bei denen eine Auswahl der interessantesten Gemälde mit zeigenden Chirogramme verschiedenen Gruppen von Betrachter*innen gezeigt werden. Wir wollen dabei nicht nur herausfinden, ob und wie die zeigenden Finger die Kunstwahrnehmung beeinflussen, sondern auch ob der persönliche Hintergrund der Betrachtenden bei der Rezeption in irgendeiner Weise eine Rolle spielt. Daher werden wir drei verschiedene Teilnehmer*innengruppen bilden: 1) Kunstexpert*innen, 2) Lai*innen und 3) gehörlose Muttersprachler*innen der Österreichischen Gebärdensprache. Jede dieser drei Gruppen könnte eine besondere Sensibilität für die Bildgebärden aufweisen. Wird der ausgestreckte Zeigefinger universell als Symbol verstanden oder hängt die Wahrnehmung von den Kenntnissen und der Kultur des Betrachters ab? Die bildlichen Gesten stellen eine bemerkenswerte, aber wenig erforschte Sprache dar. Durch die Erforschung des Verständnisses dieser Sprache könnten wir unser Wissen über die Kunstwahrnehmung sowohl in kognitiver als auch in kultureller Hinsicht erheblich erweitern.
- Universität Wien - 100%