Eine Forscherin mit Rindern auf einem Feld
Das Programm Top Citizen Science steht Forschenden offen, die Bürger:innen aktiv in den Forschungsprozess einbinden. © Christoph Menke

Wissenschaft ist nie weit von Gesellschaft und Alltag entfernt. Das zeigen die fünf Projekte, die in diesem Jahr durch die Förderung des FWF-Programms Top Citizen Science zwei Jahre lang gemeinsam mit Nichtwissenschaftler:innen, darunter viele Jugendliche und Schüler:innen, durchgeführt werden können. „Die Projekte in diesem Jahr sind von besonders großer Relevanz sowohl für Bürger:innen als auch für die Wissenschaft. Keines der Projekte wäre möglich ohne die Einbeziehung von Lai:innen, was unser Vertrauen in diese Art der Forschung und in unsere Förderschiene noch verstärkt“, sagt Christof Gattringer, Präsident des FWF.

In diesem Jahr werden durch den FWF fünf Top-Citizen-Science-Projekte gefördert. Das Fördervolumen beträgt 460.000 Euro; von den Kommunikationswissenschaften, die Soziologie und die Veterinärwissenschaften über die Mikrobiologie bis hin zur Kunst- und Kulturgeschichte sind natur-, sozial- und geisteswissenschaftliche Disziplinen vertreten.

Alle Top-Citizen-Science-Projekte sind Teil eines vom FWF geförderten Basis-Forschungsprojekts und ergänzen dieses. Auf diese Weise wird ein sehr hohes akademisches Niveau sichergestellt.

Die aktuellen Projekte laufen 2025 bis 2026. Wir stellen vier der fünf Projekte vor.

Top-Citizen-Science-Projekte 2025–2026:

Einstellung von Bürger:innen gegenüber dem digitalen Euro

Gut zwei Drittel der erwachsenen Österreicher:innen wissen nicht, was Geld eigentlich ist. Das ist eines der Ergebnisse von Studien, die Klaus Kraemer von der Universität Graz durchgeführt hat und seiner Forschungsgruppe den Anlass gaben, das Forschungsprojekt zur Nutzung barer und unbarer Zahlungsmethoden um ein Citizen-Science-Projekt zum „digitalen Euro“ zu ergänzen.

Bisphenol A All Around

Bisphenol A, kurz BPA, gehört zu einer Gruppe von Chemikalien mit hormonähnlicher Wirkung, die wissenschaftlich als „endocrine disruptors“ bezeichnet werden. Die Forschungsgruppe um Andreas O. Wagner an der Universität Innsbruck erforscht, welche Mikroorganismen geeignet sein könnten, BPA abzubauen und unschädlich zu machen.

Influencer-Kommunikation für die Gesundheit von Jugendlichen

Was kann man tun, um die Qualität von Influencer-Postings zum Thema Gesundheit zu verbessern? Raffael Heiss vom MCI in Innsbruck lässt Jugendliche über Ernährung, Fitness, Gesundheitsfakten und -mythen recherchieren, damit sie eigene Materialien entwickeln, die auf Social Media funktionieren und von Influencern aufgegriffen werden können.

COwWEL – „OneWelfare“ und Vulnerabilität in der Ernährung

Das Projekt COwWEL von Susanne Waiblinger von der Veterinärmedizinischen Universität Wien befragt Menschen mit wenig Geld zum Thema nachhaltige Ernährungsweisen. Denn diese gesellschaftlichen Gruppen werden bei Nachhaltigkeitsfragen selten aktiv eingebunden, sind aber von den Folgen eines nicht nachhaltigen Ernährungssystems besonders betroffen.

Einstellung von Bürger:innen gegenüber dem digitalen Euro

Einstellung von Bürger:innen gegenüber dem digitalen Euro
Porträt Klaus Kraemer
Klaus Kraemer leitet das Projekt „Einstellung von Bürger:innen gegenüber dem digitalen Euro“. © privat

Gut zwei Drittel der erwachsenen Österreicher:innen – Politiker:innen eingeschlossen – wissen nicht, was Geld eigentlich ist. Das ist eines der Ergebnisse wirtschaftssoziologischer Studien, die Klaus Kraemer zum Thema Geld durchgeführt hat und seiner Forschungsgruppe den Anlass gaben, das Forschungsprojekt zur Nutzung barer und unbarer Zahlungsmethoden („Payment Methods in Motion“) durch ein Citizen-Science-Projekt zu ergänzen, das den „digitalen Euro“ zum Thema macht. „Vielen ist nicht bewusst, dass mit den digitalen Bezahlmethoden wie PayPal, Apple- oder GooglePay auch die Geldschöpfung zunehmend in privater Hand ist. Nur fünf Prozent des Geldes, mit dem wir zu tun haben, wird von der Europäischen Zentralbank ausgegeben und das ist bislang ausschließlich Bargeld“, so Kraemer. Der digitale Euro, der in den nächsten Jahren erstmals ausgegeben werden soll, wäre somit das einzige öffentliche Digitalgeld. Was denken EU-Bürger:innen darüber? Was wissen sie? Das Top-Citizen-Science-Projekt wird zwei Bürger:innen-Konferenzen durchführen, einmal mit Schüler:innen, einmal mit einer für die österreichische Bevölkerung repräsentativen Zusammensetzung. Die Teilnehmenden werden sich in diesen Konferenzen über den digitalen Euro informieren und mit Methoden der Sozialforschung ihre Einstellungen dazu erheben, um diese kritisch zu hinterfragen. Die Soziolog:innen wiederum nutzen die Prozesse, um zu verstehen, wie sich Einstellungen entwickeln und möglicherweise verändern. „Aus unseren Studien wissen wir, dass das Misstrauen gegenüber Institutionen wie der EZB groß ist. Mit dem Citizen-Science-Projekt erfahren wir hoffentlich mehr darüber, warum das so ist und ob Partizipation und Information daran etwas ändern“, so Kraemer.

Projektleitung

Klaus Kraemer

Forschungsstätte

Universität Graz, Institut für Soziologie

Disziplinen

Soziologie

Fördervolumen

98.842 €

Bisphenol A All Around – Environmental Distribution of Bisphenol A

Bisphenol A All Around – Environmental Distribution of Bisphenol A
Porträt Andreas O. Wagner
Andreas O. Wagner leitet das Projekt „Bisphenol A all around“. © privat

Bisphenol A, kurz BPA, gehört zu den aromatischen Kohlenwasserstoffen und ist eine – mittlerweile als reproduktionstoxisch eingestufte – chemische Verbindung, die, einmal dem Spielzeug, der Beschichtung von Konservendosen, Windradflügeln oder dem Thermopapier der Kassenbons entwichen, vermutlich weit verbreitet in der Umwelt zu finden ist. BPA gehört zu einer Gruppe von Chemikalien mit hormonähnlicher Wirkung, die wissenschaftlich als „endocrine disruptors“ bezeichnet werden. Die Forschungsgruppe um Andreas O. Wagner an der Universität Innsbruck erforscht, welche Mikroorganismen geeignet sein könnten, BPA abzubauen und unschädlich zu machen. Die Laborversuche konzentrieren sich auf anaerobe Mikroorganismen, solche also, deren Stoffwechsel ohne Sauerstoff funktioniert. Mit dem Citizen-Science-Projekt will die Forschungsgruppe ihren Fokus erweitern und Mikroorganismen identifizieren, die auch unter aeroben Bedingungen BPA abbauen, bestimmte Hefen oder Pilze etwa und auch Bakterien. Zunächst muss allerdings festgestellt werden, wo in der Umwelt BPA zu finden ist – Pionierarbeit, die nur gemeinsam mit Citizen Scientists bewältigt werden kann: „In Österreich fehlen uns mehr oder weniger völlig Daten, wie Bisphenol A in der Umwelt verteilt ist“, so Wagner. Die Forscher:innen der Universität Innsbruck werden das Mikrobiom der eingesandten Proben dann im Labor untersuchen: „Die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass wir aus den Proben Mikroorganismen isolieren können, die BPA abbauen können. Anschließend kann man versuchen, diesen Organismen möglichst gute Bedingungen zu bieten, um BPA abzubauen, und damit schließlich das BPA-Problem zu entschärfen.“ BPA findet sich potenziell überall in der Umwelt, da die Verbindung so vielseitig einsetzbar ist. Neben Informationsveranstaltungen wird es daher auch Laborworkshops geben, unter anderem für Schulklassen, um zu zeigen, wie man dem BPA auf die Spur kommt. Die gemeinsame Arbeit mit Citizen Scientists ist aus Sicht von Wagner auch eine Chance, dem seit der Pandemie gewachsenen Misstrauen gegenüber Wissenschaft zu begegnen: „Schadstoffe wie BPA betreffen ja alle Bürger:innen. Es wäre gut, wenn wir da sensibilisieren können und zeigen, dass man mit Forschung die Welt ein bisschen besser machen kann.“

Projektleitung

Andreas O. Wagner

Forschungsstätte

Universität Innsbruck, Institut für Mikrobiologie

Disziplinen

Mikrobiologie

Fördervolumen

99.896 €

Influencer-Kommunikation für die Gesundheit von Jugendlichen

Influencer-Kommunikation für die Gesundheit von Jugendlichen
Porträt Raffael Heiss
Raffael Heiss leitet das Projekt „Influencer-Kommunikation für die Gesundheit von Jugendlichen“. © Ulysseus

Wenn gut die Hälfte aller Posts auf Social Media, die österreichische Jugendliche sehen, von Influencern stammen und davon wiederum vierzig Prozent Werbung sind, was kann man tun, um die Qualität dieser Postings zu verbessern, insbesondere dann, wenn es um ein sensibles Thema wie Gesundheit geht? Für Raffael Heiss vom MCI liegt die Antwort nahe: Die Jugendlichen über Ernährung, Fitness, Gesundheitsfakten und -mythen recherchieren lassen, damit sie auf dieser Basis dann eigene multimediale Materialien entwickeln können, die auf Social Media funktionieren und von Influencern aufgegriffen werden können. „Werbung kann man regulieren“, erklärt Heiss. „Die Gesundheitskompetenz bei den Jugendlichen erhöhen und Influencer-Kommunikation fachlich zu verbessern ist aber nur möglich, wenn die Zielgruppen selbst beteiligt sind.“ In dem von Heiss geleiteten Citizen-Science-Projekt werden daher Schüler:innen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren Kommunikations- und Kampagnentools für Social-Media-Influencer entwickeln. Inhalte und Methoden sind offen und die Jugendlichen arbeiten vom Forschungsdesign über die Entwicklung und Gestaltung der Tools bis hin zum Forschungsbericht eng mit den Wissenschaftler:innen zusammen. „Es ist für uns eine Frage der Validität“, sagt Heiss. „Die Inhalte, die von den Zielgruppen der Influencer-Kommunikation selbst entwickelt werden, sind nicht nur realitätstauglicher, ihre Glaubwürdigkeit ist auch größer und damit die Wahrscheinlichkeit, dass sie eingesetzt werden.“

Projektleitung

Raffael Heiss

Forschungsstätte

MCI | Die Unternehmerische Hochschule, Center for Social and Health Innovation

Disziplinen

Kommunikationswissenschaften

Fördervolumen

91.631 €

COwWEL – „OneWelfare“ und Vulnerabilität in der Ernährung

COwWEL – „OneWelfare“ und Vulnerabilität in der Ernährung
Porträt Susanne Waiblinger
Susanne Waiblinger leitet das Projekt „COwWEL – ,OneWelfare‘ und Vulnerabilität in der Ernährung“. © Vetmeduni/Thomas Suchanek

Wie ist Veränderung zu einer nachhaltigen Ernährungsweise, die Menschen und Tieren gleichermaßen gerecht wird, möglich? Das ist die große Frage, die hinter dem Citizen- Science-Projekt COwWEL steht. COwWEL wendet sich für Antworten den gesellschaftlichen Gruppen zu, die bei Nachhaltigkeitsfragen selten aktiv eingebunden werden, von den Folgen eines nicht nachhaltigen Ernährungssystems aber besonders betroffen sind: Menschen mit wenig Geld. „Immer wenn es um eine gesunde, nachhaltige Ernährung geht, steht das Thema Kosten im Raum. Aber auch andere Faktoren können eine Rolle spielen“, sagt Susanne Waiblinger, Professorin für Tierhaltung, Tierschutz und Angewandte Ethologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, die das Projekt leitet. In COwWEL werden Personen mit Flucht- oder Migrationshintergrund aus der Ukraine und Syrien sowie armutsgefährdete Personen gemeinsam mit Wissenschaftler:innen herausfinden, wie eine gesunde und nachhaltige Ernährung, die insbesondere das Tierwohl im Blick hat und für alle zugänglich ist, unterstützt werden kann. „Die Citizen Scientists sind unersetzlich in diesem Projekt, weil ohne ihren Input unser Wissen über hemmende und förderliche Faktoren für eine nachhaltige Ernährung unvollständig wäre. Vulnerable Gruppen sind in der Wissenschaft generell unterrepräsentiert“, so Waiblinger. Die Ergebnisse werden das Projekt COwLearning ergänzen, bei dem von einem interdisziplinären Forschungsteam gemeinsam mit Akteuren aus der Praxis mögliche Veränderungswege zu einer tiergerechten, ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Milch- und Fleischversorgung untersucht werden. Zum Abschluss des Citizen-Scientists-Projekts soll die Stadt Wien in einem Workshop mit den Citizen Scientists und Wissenschaftler:innen eingebunden werden, um eine inklusive, nachhaltige Ernährungspolitik zu inspirieren.

Projektleitung

Susanne Waiblinger

Forschungsstätte

Veterinärmedizinische Universität Wien

Disziplinen

Agrarwissenschaften, Ökonomie

Fördervolumen

77.238 €

Über Top Citizen Science

Top Citizen Science fördert Forschungsaktivitäten, die eine Beteiligung von Bürger:innen ermöglichen, welche somit zu einem substanziellen, zusätzlichen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn beitragen. Die wissenschaftliche Qualität der Top-Citizen-Science-Projekte wird durch ein zugehöriges FWF-Forschungsprojekt („Basisprojekt“) sichergestellt, das bis zur Förderentscheidung (Oktober des Einreichjahres) noch nicht abgeschlossen ist. Ein Top-Citizen-Science-Projekt kann maximal 24 Monate dauern und eine Förderung von maximal 100.000 Euro erhalten. Die Entscheidung über die Förderung als Top-Citizen-Science-Projekt trifft das Kuratorium des FWF auf Grundlage einer internationalen Begutachtung.

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