Vier neue Spezialforschungsbereiche starten in Österreich
Forschende zusammenbringen, Schwerpunkte vertiefen und gemeinsam neue Forschungsfelder erschließen: Die Spezialforschungsbereiche des Wissenschaftsfonds FWF heben Synergien und bringen regional verankerte Forschungsnetzwerke hervor. In der jüngsten Ausschreibungsrunde reichten 26 Konsortien beim FWF ein Konzept zur internationalen Begutachtung ein – sechs davon konnten einen Vollantrag stellen, vier Spezialforschungsbereiche werden nun mit einem Fördervolumen von insgesamt 14,8 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre gefördert. Davon werden zwei Spezialforschungsbereiche von Forschenden der TU Wien und je einer von Forschenden der Universität Wien (Max Perutz Labs) und der Technischen Universität Graz koordiniert. Teams zahlreicher anderer Forschungsstätten wie des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), der Johannes Kepler Universität Linz oder des Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA/ÖAW) sowie Teams deutscher Projektpartner sind ebenso beteiligt.
„Forschende entwickeln im Laufe ihrer Karriere unterschiedliche Schwerpunkte. Spezialforschungsbereiche führen vorhandene Kompetenzen zusammen, wodurch neue Netzwerke wachsen. Das Zusammenbringen unterschiedlicher Expertisen bringt nicht nur für alle Beteiligten einen Mehrwert, sondern erhöht am Ende auch den Erkenntnisgewinn“, so FWF-Präsident Christof Gattringer, der den frisch geförderten Forschenden herzlich gratuliert.
„Ich weise allerdings darauf hin, dass noch mehr Potenzial für Spezialforschungsbereiche in Österreich vorhanden wäre. Wir können schon jetzt mangels Förderbudget nicht alle exzellenten Konsortien fördern. Die Mittel kommen von der Nationalstiftung und sind vorerst ausgelaufen. Ob wir künftig weitere Spezialforschungsbereiche fördern können oder nicht, hängt vom angekündigten Fonds Zukunft Österreich ab, der aber noch nicht in trockenen Tüchern ist“, so Gattringer zur unsicheren Zukunft dieses Förderangebots.
Spezialforschungsbereiche als Sprungbrett in die Spitzenforschung
Mit dem Programm zielt der FWF darauf ab, exzellente Forschungsnetzwerke hervorzubringen. Österreichs Forschungsstätten erhalten die Möglichkeit, vielversprechende Forschende fest zu verankern und das eigene Forschungsprofil zu schärfen. Das Arbeiten in Teams wird großgeschrieben, schließen sich doch bis zu 15 Forschende in einem Spezialforschungsbereich zusammen. Ziel ist es, Forschungsnetzwerke nach internationalem Maßstab an einem oder mehreren Standorten zu schaffen. Im Mittelpunkt stehen multi- bzw. interdisziplinär angelegte Forschungsthemen.
Seit der Einführung des Programms im Jahr 1993 konnte der FWF 400 Millionen Euro an 55 Spezialforschungsbereiche vergeben. Eine 2020 abgeschlossene Evaluierung bescheinigte dem Förderangebot positive Langzeiteffekte und einen hohen Impact auf die Karriereerfolge der beteiligten Forschenden. Deren Publikationstätigkeit wuchs besonders stark und es zeigen sich hohe Zitationsraten. Der damaligen Kritik über zu wenig Frauen als Projektleitende wirkt die aktuelle Bewilligungsrunde entgegen: Von den vier neuen Spezialforschungsbereichen werden drei von Wissenschaftlerinnen geleitet.
Die neuen Spezialforschungsbereiche im Überblick
Spezialforschungsbereich „Korrelierte Quantenmaterialien und Festkörper-Quantensysteme“ („Correlated Quantum Materials and Solid State Quantum Systems“)
Koordination: Silke Bühler-Paschen, Technische Universität Wien
Forschungsnetzwerk: Technische Universität Wien (Silke Bühler-Paschen, Neven Barisic, Karsten Held), Institute of Science and Technology Austria, ISTA (Zhanybek Alpichshev, Andrew Higginbotham, Georgios Katsaros, Kimberly Modic, Maksym Serbyn); zwei weitere Projektpartner noch in der Entscheidungsphase bei der DFG
Fördervolumen: 3,5 Millionen Euro | vier Jahre Laufzeit
Der Quantencomputer – wo quantenmechanische Zustände Bits (bzw. Qubits) repräsentieren – ist in aller Munde. Obwohl er bestimmte Rechnungen bereits schneller ausführen kann als herkömmliche Computer, wird der Ruf nach robusteren festkörperbasierten Quantensystemen („solid state quantum systems“) lauter, um das Problem der Quantenfehlerkorrektur in den Griff zu bekommen und so das Potenzial des Quantenrechnens voll ausschöpfen zu können. Weniger bekannt sind korrelierte Quantenmaterialien („correlated quantum materials“). Dies sind Designer-Materialien mit Eigenschaften, die durch Quanteneffekte stark wechselwirkender Elektronen bedingt sind. Sie stellen ein hochaktives, aber besonders komplexes Gebiet der festkörperphysikalischen Grundlagenforschung dar.
Im Rahmen des Spezialforschungsbereichs „Correlated Quantum Materials and Solid State Quantum Systems“ sollen beide Gebiete kombiniert werden. Konzepte und Methoden, die im Rahmen der Quantencomputer-Forschung entwickelt wurden, sollen helfen, korrelierte Quantenmaterialien besser zu verstehen. So will man beispielsweise mithilfe völlig neuartiger Verschränkungsmessungen dem Rätsel der Hochtemperatursupraleitung auf die Schliche kommen. Im Gegenzug soll erforscht werden, wie man sich korrelierte Quantenmaterialien für Quantenanwendungen zunutze machen könnte. Korrelierte Quantenmaterialien mit topologischen Eigenschaften zum Beispiel könnten in neuartigen Hybridsystemen zu sehr robusten und gut steuerbaren Quanten-Bauelementen führen.
Spezialforschungsbereich „Meiose“ („Meiosis“)
Koordination: Verena Jantsch-Plunger, Max Perutz Labs, Universität Wien
Forschungsnetzwerk: Universität Wien bzw. Max Perutz Labs (Christopher Campbell, Alexander Dammermann, Verena Jantsch-Plunger, Franz Klein, Joao Matos, Peter Schlögelhofer), Institut für Molekulare Biotechnologie, Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, IMBA/ÖAW (Anton Goloborodko), Johannes Kepler Universität Linz (Irene Tiemann-Boege), Institute of Science and Technology Austria, ISTA (Beatriz Vicoso)
Fördervolumen: 3,7 Millionen Euro | vier Jahre Laufzeit
In unseren Zellen ist jedes Chromosom zweimal vorhanden, wobei eine Kopie vom Vater und eine von der Mutter vererbt wird. Bei der Befruchtung verbinden sich die männlichen und weiblichen Geschlechtszellen. Um den korrekten Chromosomensatz unseres Nachwuchses sicherzustellen, wird dieser Satz während der Entwicklung von Spermium und Ei halbiert. Die spezialisierte Zellteilung der Meiose bewerkstelligt dies in einem faszinierenden Tanz der Chromosomen und ordnet während dieses Prozesses das genetische Material in jeder Generation neu an. Fehler in der Meiose sind Ursache für Fehlgeburten, Unfruchtbarkeit und genetische Erkrankungen, aber auch im positiven Sinn für Anpassung und Evolution.
Trotz weitreichender Forschungserfolge fehlt uns weiterhin ein umfassendes mechanistisches Verständnis der vielen Teilschritte der Meiose und davon, wie sogenannte parthenogenetische (asexuelle) Organismen die Meiose „umfunktionieren“. In diesem Spezialforschungsbereich sollen diese grundlegenden Themen in verschiedensten Modellorganismen bis zum Menschen durchleuchtet werden. Dabei setzt man auf die breit gefächerte Expertise der neun SFB-Mitglieder, die von Zellbiologie, Genetik, Biochemie und Strukturbiologie bis Biophysik, Informatik und mathematischer Modellierung reicht.
Die Abteilung für Chromosomenbiologie an der Universität Wien weist eine lange Tradition erfolgreicher Meioseforschung auf. In diesem Spezialforschungsbereich werden auch Kolleg:innen von der Johannes Kepler Universität Linz, dem ISTA und dem IMBA einbezogen, um die kritische Masse an Meioseforschenden in Österreich zu stärken.
Spezialforschungsbereich „SPyCoDe“
Koordination: Matteo Maffei, Technische Universität Wien
Forschungsnetzwerk: Technische Universität Wien (Elena Andreeva, Georg Fuchsbauer, Laura Kovacs, Martina Lindorfer, Matteo Maffei), Technische Universität Graz (Roderick Bloem, Maria Eichlseder, Daniel Gruss, Stefan Mangard), Institute of Science and Technology Austria, ISTA (Thomas A. Henzinger, Eleftherios Kokoris-Kogia, Krzysztof Pietrzak), Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (Elisabeth Oswald), Universität Wien (Johanna Ullrich)
Fördervolumen: 4,4 Millionen Euro | vier Jahre Laufzeit
Sicherheit und Privatsphäre sind Menschenrechte, die auch in der digitalen Gesellschaft gelten sollten. Der in der neuen europäischen Datenschutz-Grundverordnung verankerte Grundsatz von „Security and Privacy by Design“ schreibt vor, dass der Datenschutz bereits in der frühen Entwurfsphase von IT-Infrastrukturen berücksichtigt werden sollte. Leider reichen die modernen Technologien nicht aus, um diesen Grundsatz zu verwirklichen, wie die Zahlen der Angriffe und Sicherheitslücken zeigen. Ohne Schutz der Privatsphäre ist eine groß angelegte Digitalisierung nicht möglich. Daher ist es ein Forschungsgebiet mit außerordentlichen technologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen.
Der Spezialforschungsbereich „SPyCoDe“ zielt darauf ab, die technologischen Grundlagen für die Verwirklichung des Prinzips „Security and Privacy by Design“ zu schaffen – und zwar indem er Unternehmen Werkzeuge zur Verfügung stellt, um komplexe Systeme zu bauen, die aufgrund ihrer Komponenten von vornherein sicher sind und die Privatsphäre schützen. Diese Forschung ist ein Querschnittsthema der Informatik, das bahnbrechende Erkenntnisse in den Bereichen Logik, Systemsicherheit und Kryptographie vereint.
Österreich verfügt über eine junge und international führende Forschungsgemeinschaft in diesen Bereichen. Das Projekt vernetzt fünf Institutionen (TU Wien, TU Graz, ISTA, Universität Wien und Universität Klagenfurt) zu einem dezentralen Forschungszentrum, das eine Know-how-Pipeline aufbauen wird, die Lehre, Grundlagenforschung und Technologietransfer umfasst.
Spezialforschungsbereich „Computergestütztes elektrisches Maschinenlabor“ („Computational Electric Machine Laboratory“)
Koordination: Annette Mütze, Technische Universität Graz
Forschungsnetzwerk: Technische Universität Graz (Günther Brenn, Peter Gangl, Manfred Kaltenbacher, Benjamin Marussig, Annette Mütze, Martin Schanz, Olaf Steinbach), Johannes Kepler Universität Linz (Herbert Egger), Technische Universität Darmstadt (Idoia Cortes Garcia, Herbert De Gersem, Jeannette Hussong, Florian Kummer, Dimitrios Loukrezis, Martin Oberlack, Ilia Roismann, Sebastian Schöps, Yvonne Späck-Leigsnering, Stefan Ulbrich, Bai-Xiang Xu)
Fördervolumen: 3,2 Millionen Euro | vier Jahre Laufzeit | Zusätzlich zur eigenständigen FWF-Spezialforschungsbereich-Förderung wird dieses Forschungsvorhaben mit einer eigenen Sonderforschungsbereich/Transregio-Förderung der DFG unterstützt.
Elektrische Maschinen spielen seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle bei der Energieumwandlung; nicht nur als Generatoren zur Erzeugung elektrischer Energie, sondern auch als Motoren, zum Beispiel für Elektrofahrzeuge. Die moderne Leistungselektronik brachte zahlreiche neue Betriebs- und Einsatzmöglichkeiten solcher Motoren, und zusammen mit neuen Materialien und Fertigungstechniken sowie durch Fortschritte in der Konstruktionsoptimierung und Regelungstechnik bergen sie enormes Potenzial für das Erreichen der Klimaziele.
Aktuelle Auslegungsverfahren für elektrische Maschinen basieren auf nur wenigen Parametern und Betriebsarten, typischerweise bei konstanter Drehzahl oder konstantem Drehmoment. Optimierungspotenzial bleibt dadurch auf der Strecke. Der SFB will dieses Potenzial nutzbar machen und mit den Forschungsarbeiten einen Paradigmenwechsel vollziehen, hin zu neuen integrierten Simulations- und Auslegungsansätzen. Die neuen Ansätze berücksichtigen von Anfang an alle wichtigen Aspekte einer elektrischen Maschine wie Form und Topologie, zeitabhängige Betriebszyklen, komplexes Materialverhalten, Parameterunsicherheiten, Robustheit und Lärmentwicklung sowie neue Kühltechniken zum Ausreizen thermischer Grenzen.