Diskutierten in Alpbach Ursachen und Strategien zum Zusammenspiel von Wissenschaft und Gesellschaft (v. l. n. r.): Markus Weißkopf, Eva Schernhammer, Martin Polaschek, Christof Gattringer, Tobias Thomas, Sabine Chai, Martina Merz.

Der Nutzen der Wissenschaft für die Gesellschaft war selten so offensichtlich und greifbar wie in der jüngsten Vergangenheit. In der globalen Covid-19-Gesundheitskrise wurde gezeigt, wie schnell mit neuen molekularbiologischen Technologien auf einen plötzlich auftretenden Krankheitserreger reagiert werden kann. Nie zuvor wurden epidemiologische und immunologische Fragen öffentlich so ausgebreitet und in einer vergleichbaren Tiefe diskutiert. Und dennoch scheint es, dass die Ablehnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der modernen, von digitalen Vernetzungsmedien geprägten Gesellschaft noch nie so groß war. Und nicht nur das: Gerade in Österreich ist der gesellschaftliche Stellenwert der Wissenschaften im europäischen Vergleich besonders gering, wie während der Pandemie aus einer viel beachteten Eurobarometer-Studie hervorging.   

Diese Erfahrungen gaben den Rahmen für die eingangs erwähnte Breakout-Session, die am 26. August als Teil des Europäischen Forum Alpbach stattfand. In der vom Wissenschaftsfonds FWF und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) veranstalteten Diskussion erörterte ein hochrangiges, von Wissenschaftsminister Martin Polaschek angeführtes Panel Ursachen und Strategien in dem offenbar problembehafteten Zusammenspiel von Wissenschaft und Gesellschaft. Als Gastgeber und Moderator führte FWF-Präsident Christof Gattringer durch die Diskussion.

Bundesminister Martin Polaschek hob in seinem Eingangsstatement hervor, dass die Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft eine ernstzunehmende Herausforderung darstellt und höchste Priorität hat: „Es ist nicht damit getan, zwei, drei Maßnahmen zu tätigen. Es bedarf einer Strategie mit kurz-, mittel- und langfristigen Projekten“, erklärte der Bundesminister. Als erste Schritte nannte er eine Ursachenstudie als Basis für wirksame Maßnahmen, die derzeit in Arbeit sei, sowie die Förderung der Bildungswissenschaften – etwa mit einem eigenen Doktoratsprogramm. 

Mehr Empathie für verunsicherte Menschen

Die folgenden Expert:innenstatements beleuchteten das Thema nicht nur aus der Perspektive unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen, sondern auch vor dem Hintergrund verschiedener Erfahrungen, die das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft betreffen. Der Epidemiologin Eva Schernhammer von der Medizinischen Universität Wien, die zu einer gefragten Medienkommentatorin zu Entwicklungen der Pandemie wurde, ist die Unterscheidung zwischen Wissenschaftsskeptiker:innen und -leugner:innen wichtig. Der Übergang zwischen diesen beiden Positionen sei fließend, wodurch Menschen in Gefahr gerieten, in Richtung Ablehnung und Weltverschwörungserzählungen abzudriften. Schon die Klimawandeldebatte des vergangenen Jahrzehnts habe das gezeigt. „Die Angst und die Isolation, die die Pandemie in großen Teilen der Gesellschaft ausgelöst hat, wurde zu einem neuen Trigger für das Phänomen“, erklärte Schernhammer. Die Expertin plädiert für mehr Empathie: „Wir müssen zuhören. Wir müssen uns Bedenken anhören und nachdenken, wodurch sie ausgelöst werden.“

Dass in Krisenzeiten Unsicherheit, Vertrauensverlust und skeptische Positionen besonders ausgeprägt sind, hob auch Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas hervor. Er beleuchtete in seinem Statement, welche qualitativen Voraussetzungen es für eine Wissenschaft braucht, die eine gute Partnerin für die Gesellschaft ist. „Ich glaube, wir müssen bei allen Schritten in der Produktionskette der Wissenschaften sicherstellen, dass sie in einer vertrauenswürdigen Weise umgesetzt werden“, betonte der Wirtschaftswissenschaftler. „Wir müssen sicher sein, dass die Ergebnisse unabhängig sind und keinem Bias unterliegen.“ Thomas stellte gleichzeitig auch das neue Austrian Micro Data Center (AMDC) der Statistik Austria als eine neue Basis für evidenzbasierte, gesellschaftsorientierte Forschung vor. Mit der Möglichkeit eines datenschutzkonformen Zugangs zu Datensets der Statistik Austria und anderen Verwaltungsdaten schließe das Land zu internationalen Vorreitern in diesem Bereich wie Dänemark oder den Niederlanden auf. 

Über welche Wissenschaft reden wir eigentlich?

Die Eurobarometer-Untersuchung von 2021/2022, die in Diskussionen über Vertrauen in die Wissenschaft zum wichtigen Referenzpunkt wurde, unterzog Martina Merz, Vorständin des Instituts für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Universität Klagenfurt, einer kritischen Betrachtung. Sie stellte unter anderem den Wissenschaftsbegriff, der der Studie zugrunde liegt, zur Debatte. Jedes Individuum, jede Gesellschaft habe unterschiedliche Vorstellungen von Wissenschaft, was in einer Studie, die noch dazu in hohem Maß auf Vergleiche zwischen Ländern fokussiert, schwer abzubilden sei. „Meine Hypothese ist, dass der Wissenschaftsbegriff im öffentlichen Diskurs in Finnland vielleicht ein ganz anderer ist als bei uns“, sagt Merz. Angesichts dieser Pauschalvorstellung von Wissenschaft stelle sich die Frage, was die Studie eigentlich genau untersucht. Um Vertrauen in die Wissenschaft zu fördern, plädiert Merz für mehr Kontakt mit Forschenden: Es müsse viel mehr Gelegenheiten geben, dass Menschen Wissenschaftstreibende aller Art treffen und sich austauschen können – ganz abseits der Wissenschaftskommunikation, die komplexe Themen aufbereitet. 

Eine internationale Perspektive bot Markus Weißkopf, Geschäftsführer der deutschen Organisation Wissenschaft im Dialog, die sich um einen breiten Diskurs zu Forschungsthemen bemüht. „Wir sehen in Deutschland, der Schweiz oder in Schweden, dass das Vertrauen in die Wissenschaft anhaltend hoch ist. Doch auch hier gibt es einen stabilen Wert von etwa zehn Prozent, die der Wissenschaft stark misstrauen“, erklärte Weißkopf. Aus seiner Sicht könnte der Grund für das vergleichsweise schlechte Abschneiden Österreichs in der ausgeprägten Rolle der Religion im Land liegen, aber auch darin, dass nur wenige Medien qualitätsvolle Wissenschaftsberichterstattung anbieten – hier müsse es mehr Unterstützung geben. Insgesamt gebe es viele involvierte Institutionen und Aktivitäten, beispielsweise im Bereich Citizen Science. „Ich habe aber den Eindruck, dass es auf einer nationalen Ebene nicht sehr viele Strategien, Ziele und Evaluierungen gibt“, kritisierte der deutsche Experte.  

Von Anfang an Qualitätsbewusstsein vermitteln

Könnte das schlechte Image der Wissenschaftler:innen auch mit einer fragwürdigen Forschungskultur zusammenhängen? Sabine Chai, Geschäftsführerin der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität, betont, dass Themen wie Plagiat heute mehr Aufmerksamkeit bekommen, die Mehrheit der Forschenden aber verlässlich und verantwortungsvoll arbeite. Dennoch sollten einschlägige Bildungsangebote verbessert werden, um von Anfang an Qualitätsbewusstsein zu vermitteln. „Schon bevor ich eine vorwissenschaftliche Arbeit schreibe, brauche ich Grundlagen, wie es richtig zu machen ist“, sagte Chai. „Das ist meine Empfehlung. Bitte stellen Sie entsprechende Ausbildungen zur Verfügung.“

In der Diskussion, die sich den Positionierungen der Expert:innen anschloss, traten unter anderem praktische Herausforderungen zur Interaktion von Wissenschaft und Gesellschaft zutage. Eine wichtige Frage: Welche Incentives haben Wissenschaftler:innen, um ihr Wissen stärker nach außen zu tragen? Welchen Stellenwert werden Outreach-Aktivitäten von Wissenschaft künftig haben und wie sollen sie bewertet werden? Sollen sie vielleicht auch Teil von Projektanträgen für öffentliche Förderungen werden? Und wie soll die Kommunikationsarbeit zwischen Wissenschaftler:innen und Kommunikationsprofis aufgeteilt sein? Diese und ähnliche Fragen müssen erst verhandelt werden. Es liegt an der Politik, die richtigen Weichenstellungen zu treffen. „Wir müssen den Menschen zeigen, dass die Forschungsinstitutionen Vertrauen verdienen, weil sie verlässliches Wissen garantieren. Wir müssen verdeutlichen, was der Unterschied zwischen wissenschaftlichen Fakten und ‚Fake News‘ ist. Wir müssen zeigen, dass es zwar auch verschiedene Meinungen in den Wissenschaften gibt, diese aber evidenzbasiert sind“, resümierte Bundesminister Polaschek in seinem Schlusswort.   

Der Wissenschaftsfonds FWF

Der Wissenschaftsfonds FWF ist Österreichs führende Organisation zur themenoffenen Förderung der Grundlagenforschung sowie der künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung. In einem internationalen Peer-Review-Verfahren fördert der FWF jene Forschenden und Ideen, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Qualität wegweisend sind. Die gewonnenen Erkenntnisse stärken Österreich als Forschungsnation und legen eine breite Basis, um zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen besser begegnen zu können.

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