Gerettete Tiefe. Die andere Moderne in der österr. Literatur
Salvaged Depth. The Other Modernism in Austrian Literature
Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (20%); Sprach- und Literaturwissenschaften (80%)
Keywords
-
Heimito von Doderer,
George Saiko,
Austrian literary history,
Other Modernism,
Depth/ Surface,
Hermann Broch
Das germanistische Forschungsprojekt Die gerettete Tiefe. Die andere Moderne in der österreichischen Literatur 19301960 knüpft an jüngere Studien zum Verhältnis von Nationalsozialismus und Moderne an: Auf der Grundlage revidierter Prämissen entdeckte man im Nationalsozialismus moderne Züge, während man in der Moderne antimoderne und totalitäre Potenziale zu untersuchen begann. Dies zog die Frage nach verdeckten Kontinuitäten in den Jahrzehnten zwischen 1925/30 und 1955/60 und nach einer anderen, vergessenen literarischen Moderne nach sich. In genau diesem Diskussionsfeld positioniert sich das Projekt, indem es eine bislang unerforschte, politisch brisante literarische Unternehmung ins Zentrum rückt. Es untersucht fünf namhafte österreichische Schriftsteller, die zwischen 1930 und 1960 an einer rekodierten, für die Moderne geretteten Tiefe arbeiteten: Hermann Broch, George Saiko, Heimito von Doderer, Alexander Lernet-Holenia und Hans Lebert. Alle fünf bemühten sich, die Moderne tiefer zu legen, sie echter zu machen. Sie stellten sich hiermit den nationalsozialistischen Instrumentalisierungen der Tiefe (Blut, Boden, Rassenschicksal) entgegen, griffen aber auch ästhetisch und politisch hoch riskant auf anti- und vormoderne Mittel zurück. Die Brisanz dieses Vorhabens zeigt sich daran, dass zeitgleich auch renommierte deutsche Soziologen, Philosophen und Kulturanalytiker wie Walter Benjamin, Siegfried Kracauer und Theodor W. Adorno an einer Umkehrung, einer modernen Rettung der Tiefe arbeiteten ein bisher unerforschter Zusammenhang, dessen Aufklärung die österreichische Literatur dieser Zeit in neuem Licht erscheinen lässt. Das Projekt verfolgt drei Ziele: 1) Entlang der einzelnen Werkgeschichten sollen die signifikant differierenden Lösungsversuche der österreichischen Autoren bei der Arbeit an einer modernen Ästhetik der Tiefe rekonstruiert werden. 2) In einer umfassenden Neubewertung ihrer Werke sowie ihrer internationalen Relevanz und Aktualität sind sie als zusammengehörige Gruppe innerhalb der österreichischen Literaturgeschichte kenntlich zu machen sowie im Kontext der internationalen Literaturmoderne zu verorten. 3) Schließlich ist die österreichische Literatur der geretteten Tiefe in einer Kulturgeschichte der Tiefe zu verorten, die davon ausgeht, dass um 1800 ein entscheidender Umbruch die Erfindung des modernen Subjekts und der modernen Nation stattfand. In der Folge entwickelten sich gesellschaftlich prägende Debatten um das Verhältnis von Oberflächlichkeit und Tiefe, Echtheit und Künstlichkeit, die im frühen 20. Jahrhundert politisch instrumentalisiert wurden und den europaweiten Erfolg faschistischer Bewegungen ermöglichten. Die Tiefe ist in ihrem Oszillieren zwischen sicherem Fundament und gefährlichem Abgrund, zwischen Schutzraum und Gefahrenquelle, eine der wichtigsten Metaphern der Kulturgeschichte und des politischen Diskurses (Fundamentalismus/ Nationalismus). Die Projektergebnisse sollen nicht zuletzt dazu dienen, den Blick auf gegenwärtige Sehnsüchte nach Tiefe und Eigentlichkeit und auf Möglichkeiten ihrer Beantwortung zu schärfen. Denn die österreichischen Schriftsteller arbeiteten an einer gelungenen Antwort auf diese Sehnsüchte.
- Universität Wien - 100%
- Dorothee Kimmich, Eberhard-Karls-Universität Tübingen - Deutschland
- Hans Ulrich Gumbrecht, University of Stanford - Vereinigte Staaten von Amerika