Die Sprachenfrage in der k.(u.)k. Armee (1868-1914)
The Language Question in Habsburg Army (1868-1914)
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (100%)
Keywords
-
Modern History,
Austria-Hungary,
Habsburg Studies,
Ethnicity,
Military History,
Nationalism
Im Zuge der Heeresreform 1868/69 wurde ein System der Berücksichtung der Sprachenvielfalt innerhalb der multiethnischen k.(u.)k. Armee eingeführt, das mit wenigen Ausnahmen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges Bestand hatte. Damit wurde dem österreichischen Verfassungsprinzip von 1867 Rechnung getragen, das im Verwaltungsleben die Rücksichtnahme auf die einzelnen Sprachen vorsah. Neben der Kommando- und Dienstsprache Deutsch, fand bei einem Anteil einer Sprachgruppe von 20 Prozent in den einzelnen Truppenkörpern (z.B. Regimentern) in der täglichen Kommunikation und Ausbildung diese Verwendung. Bei Beginn des Ersten Weltkrieges konnte auf eine permanente politische und öffentliche Debatte zur Nationalitäten- und Sprachenfrage zurückgeblickt werden. Inwiefern die Sprachenfrage der k.u.k. Armee in Wechselwirkung mit regionalen und überregionalen politischen Ereignissen stand, wird dieses Projekt untersuchen. Dabei wird auf Thesen zurückgegriffen, wonach die regionalen Ereignisse mehr Einfluss besaßen als die parlamentarischen Debatten in Wien und Budapest. Die Einführung des Systems weckte Hoffnungen auf eine mögliche Integration und Steigerung des Wir-Gefühls innerhalb der verschiedenen Nationalitäten der Habsburgermonarchie. Obwohl das Projekt auf Konzepte zurückgreift, wie dass Nation und Sprache Konstrukte darstellen, erhielten sie durch die Entscheidungen der militärischen Eliten eine gesellschaftliche und öffentliche Wirklichkeit. In der Armee mussten die einzelnen Nationalitäten normiert werden. Das System dürfte daher letztlich zu einer weiteren Auseinanderentwicklung geführt und einen Beitrag zum laufenden Identifikationsprozess der einzelnen Nationalitäten geliefert haben. Vor allem aus der Perspektive der Armeeführung, des Generalstabs und der Militärkanzlei Seiner Majestät, sollen Erwartungshaltung, Debatten und Adaptierungen des Systems analysiert werden. Deren Haltung bei Beginn des Ersten Weltkriegs, vor allem ihre Erwartungshaltung gegenüber der Reaktion einzelner Nationalitäten, zeigt jedenfalls einen Einfluss der Sprachenfrage. Das Projekt untersucht, ob die langjährige Erfahrung tatsächlich zur Ausprägung von Bedrohungsszenarien beitrug, wie die Überzeugung, die ungarische Politik lehne jede Gemeinsamkeit ab, und stärkte es etwa die Vermutung der mangelnden Loyalität der Südslawen und Tschechen? Auf der anderen Seite wurden einzelne Nationalitäten, wie muslimische Bosnier und Deutsche, als loyal angesehen. Neben der Heranziehung der Quellenbestände der Militärkanzlei Seiner Majestät und dem Generalstab wird auch die öffentliche Debatte anhand der einflussreichsten deutsch- und ungarischsprachigen militärischen Fachzeitschriften untersucht. Komplementäre Quellen, wie Ego-Dokumente der führenden Persönlichkeiten, sowie Armeevorschriften und deren Neuauflagen sollen Argumente und Überzeugungen deutlich machen. Das Forschungsvorhaben wird am Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft angesiedelt, mit dem Historischen Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften und dem Centre for War Studies (Trinity College Dublin) ist eine Kooperation geplant.
Ein Jahr nach dem Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn (1868) wurde die gemeinsame (k.u.k.) Armee reformiert. Unter dem Schlagwort Regimentssprachen wurden insgesamt elf Sprachen der habsburgischen Nationalitäten bei der Ausbildung der Soldaten berücksichtigt. Mein Projekt untersuchte inwiefern die Erwartungshaltung der Militärführung, nämlich die Loyalität und Identifizierung mit der Armee und dem Reich bei den Soldaten zu heben, sich von den Auswirkungen unterschied. Durch die allgemeine Wehrpflicht blickten 1914, also am Ende meines Untersuchungszeitraums, Generationen von Soldaten auf eine mehrjährige Dienstzeit zurück. Doch welchen Einfluss hatte die Berücksichtigung ihrer Sprache auf die Haltung der Soldaten? Die Regimentssprachen wurden zu einem Politikum, das ohne Unterbrechung regelmäßig im österreichischen und ungarischen Parlament, in den Landtagen und Medien heftig von Politikern, Journalisten, aber auch aus Militärkreisen, kritisiert wurde. Tatsächlich förderte die Organisationsstruktur der Regimentssprachen, wie die Einteilung in sprachliche homogene Ausbildungseinheiten, das nationale Bewusstsein der Soldaten. Dennoch findet sich in den autobiographischen Zeugnissen sämtlicher Nationalitäten eine gewisse Dankbarkeit gegenüber dem Staat, die eigene Sprache verwenden zu dürfen. Mein Projekt und seine Forschungsergebnisse tragen zur aktuellen internationalen wissenschaftliche Debatte bei, wonach die Bürger Habsburgermonarchie gleichzeitig sich ihrer nationalen Zugehörigkeit bewusst sein konnten, aber dennoch loyal gegenüber der Armee, dem Kaiser/König und dem Staat waren. Mein Projekt wurde 2013-2016 am Ludwig Boltzmann Institut für Historische Sozialwissenschaft durchgeführt. Durch die Kooperation mit Philipp Ther (Institut für Osteuropäische Geschichte), John Horne and Alan Kramer (Centre for War Studies/Trinity College Dublin), und Imre Ress (Historisches Institut/Ungarische Akademie der Wissenschaften) wurde die internationale Sichtbarkeit maßgeblich erhöht. Gemeinsam mit diesen und weiteren Kooperationspartnern wurden insgesamt sieben Tagungen in Wien, Dublin, Potsdam und Sarajevo durchgeführt. Das Projekt stieß auf großes Interesse. Im Rahmen von Gastvorträgen habe ich unter anderem an der Columbia University (New York), Cambridge und Oxford University und dem European University Institute (Florenz) vorgetragen. Bislang sind vier Artikel (peer review) daraus entstanden.
- Alan Kramer, University of Dublin - Trinity College - Irland
Research Output
- 70 Zitationen
- 5 Publikationen
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2018
Titel Ethnic boxes: the unintended consequences of Habsburg bureaucratic classification DOI 10.1080/00905992.2018.1448374 Typ Journal Article Autor Stergar R Journal Nationalities Papers Seiten 575-591 Link Publikation -
2016
Titel Habsburg Languages at War DOI 10.1057/9781137550309_4 Typ Book Chapter Autor Scheer T Verlag Springer Nature Seiten 62-78 -
2017
Titel Denunciation and the decline of the Habsburg home front during the First World War DOI 10.1080/13507486.2016.1257577 Typ Journal Article Autor Scheer T Journal European Review of History: Revue européenne d'histoire Seiten 214-228 -
2017
Titel Habsburg home fronts during the Great War DOI 10.1080/13507486.2016.1257579 Typ Journal Article Autor Scheer T Journal European Review of History: Revue européenne d'histoire Seiten 171-175 -
2014
Titel Die k.u.k. Regimentssprachen: Eine Institutionalisierung der Sprachenvielfalt in der Habsburgermonarchie (1867/8-1914). Typ Book Chapter Autor Niedhammer