Der politische Diskurs im Zeitalter Georg I.(1863-1913): Die Konsolidierung der Begriffe
Political Discourse in Greece during the Reign of George I (1863-1913): The consolidation of Concepts
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (30%); Sprach- und Literaturwissenschaften (70%)
Keywords
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Griechenland,
Griechisch,
Politischer Diskurs,
Begriffsgeschichte,
Ideengeschichte,
Presse
Die Regierungszeit Georgs I. (1863-1913) umfasst innenpolitisch die Veränderungen im politischen System nach der Einführung der neuen Verfassung von 1864 (auch ohne Berücksichtigung ihres Weiterbestehens mit den Zusätzen von 1911 die bis heute langlebigste Verfassung Griechenlands). Diese ermöglichten die Etablierung eines Zweiparteiensystems, das erst 1909 unter dem Druck der Militärs zum endgültigen Zusammenbruch geführt wurde. Außenpolitisch handelt es sich um die Zeit der Verschärfung der nationalistischen Gegensätze in Südosteuropa bis zu den Balkankriegen, die den Rückzug des Osmanischen Reiches aus Europa bedeuteten und aus Nachfolgestaaten erbitterte Feinde oder aber kooperierende Nachbarn machten. Einige Jahre später brachte der katastrophal beendete Krieg in Kleinasien das Ende der großnationalen Ideologie für Griechenland. Der starke sozioökonomische Wandel, den unter anderem die langsame Industrialisierung, die Veränderung der Landbesitzstrukturen sowie die Erstarkung des Bürgertums bedeuteten, stellte den Staat vor komplexen Aufgaben. Die Krise der neunziger Jahre (1893 Staatsbankrott, 1897 verheerende Niederlage im Krieg gegen das Osmanische Reich) führte einerseits zum Verlangen nach Modernisierung des Heeres und zur stärkeren Militarisierung des Landes, rief aber gleichzeitig eine Identitätskrise hervor, die nicht nur in der politischen Rhetorik und den literarischen Strömungen sondern auch in den Auseinandersetzungen um die Schriftsprache ihren Ausdruck fand. Der Sprachpflege wurde die zusätzliche Aufgabe zugesprochen, den Zusammenhalt der Griechen innerhalb und außerhalb der Grenzen des Staates zu sichern. Primäres Ziel des hier beantragten Projektes ist es, den politischen Diskurs anhand der Entwicklung der in der Tagespresse verwendeten Begriffe während bestimmter signifikanten Momente (insbesondere die ersten Jahre nach der Verfassung von 1864, die Zeit um den Berliner Kongress, die Jahre zwischen Bankrott von 1893 und Niederlage von 1897 sowie die Zeit zwischen dem Putsch von Goudi 1909 und den Balkankriegen 1912-13) zu erfassen. Die Parlamentsdebatten insbesondere betreffend die Eingriffsmöglichkeiten des Königs in die Tagespolitik, die Regulierung des Regierungswechsels sowie den Konflikt zwischen liberaler und staatlich kontrollierter Ausrichtung der Wirtschaftsmodernisierung wurden in der Tagespresse weitergeführt, so dass über die Presse der Zugang zum Parlamentsalltag als Reservoir politischer Sprache abgesichert ist. Die zugleich begriffshistorische und sprachhistorische methodische Ausrichtung, die durch die Erfahrungen des Projektes "Der Zivilisationswortschatz in Griechenland 1843-1864: Herrschaft und Staat in Südosteuropa" bestätigt wurde, hat sich auch deswegen als besonders sinnvoll erwiesen, da Lexikographie und Sprachgeschichte von den sprachideologischen Auseinandersetzungen geprägt waren und somit Lexika und andere Nachschlagewerke eher als Teil der zu untersuchenden Thematik denn als abgesichertes Vergleichsmaterial gelten können. Sprach- und Bildungsideologien gestalteten sich im Griechenland des 19. Jahrhunderts stets als Teil von gesellschaftlichen und politischen Programmen und spielten eine bedeutende Rolle bei der Konstruktion der nationalen Identität. Insofern lassen sich maßgebliche Forschungserträge nicht nur bezüglich des kontinuierlichen Wechselspiels zwischen politischer Rhetorik und Sprachpolemik, sondern allgemein zur politischen Ideologie erhoffen, die zu der in den letzten Jahren geforderten Synthese über das griechische "lange" 19. Jahrhundert beitragen könnten.
- Universität Wien - 100%