Evolutionseffekte von Fütterung auf Vögel im urbanen Bereich

Die Fütterung freilebender Vögel ist eine weit verbreitete und äußerst beliebte Praxis in städtischen Gebieten in ganz Europa. Die Vogelfütterung nimmt damit dramatischen Einfluss auf Art, Menge sowie die räumliche und zeitliche Verteilung des Nahrungsangebots für Vögel im urbanen Bereich. Durch die Veränderung des Futtersuchverhaltens der Vögel hat sie darüber hinaus Auswirkungen auf die Evolution der Vögel in städtischen Gebieten, insbesondere durch die Ausübung von Selektionsdruck (z. B. auf die Schnabelmorphologie, das Verhalten usw.) und/oder durch mögliche Effekte auf den Genfluss innerhalb der Stadtgebiete. Obwohl die Vogelfütterung als wichtiger Faktor für die phänotypischen und genotypischen Veränderungen bei Vögeln in städtischen Gebieten sein könnte, wurde die Rolle bei der Evolution von Vögeln in städtischen Umgebungen bislang noch kaum erforscht. Im vorliegenden Projekt werden zwei Hauptfragen untersucht: 1) Wie beeinflusst die Vogelfütterung die genetische Konnektivität innerhalb des städtischen Mosaiks? und 2) Wie hängt die Vogelfütterung mit Mustern der Allelselektion und des selektiven Verschwindens zusammen (d.h. die unterschiedliche Mortalitätsrate zwischen Phänotypen)? Dazu werde ich phänotypische (z. B. Schnabelgröße, Gefiederfärbung), genetische (d.h. Genotypen an 95 Mikrosatelliten-Loci und an Kandidatengene) und räumlich- zeitliche Daten (d.h. Aufenthaltsorte der Vögel zu mehreren Anlässen) bei zwei Meisenarten, nämlich der Kohlmeise (Parus major) und der Blaumeise (Cyanistes caeruleus), erheben, um Rückschlüsse auf den Genfluss und das selektive Verschwinden zu ziehen. Dabei werden ein völlig neuartiges Stichprobendesign in Form von Rastern sowie modernste Methoden der Landschaftsgenetik und der Modellierung von Fang-Wiederfang zum Einsatz kommen. Durch die Verwendung eines solchen Individuen-basierten Ansatzes unter Einbeziehung der Landschaft (anstelle des üblichen populationsbasierten Ansatzes) werde ich die Vielfalt der Habitate im urbanen Bereich erfassen. Dies wird es ermöglichen, die Schlüsselfaktoren für phänotypische Variation und die genetische Struktur in Städten zu ermitteln. Dabei erwarte ich nachweisen zu können, dass (i) die genetische Struktur von Kohlmeisen- und Blaumeisen-Metapopulationen zwischen den Jahreszeiten variiert, und zwar aufgrund von kurzfristigen Bewegungen zu Gebieten, die im Winter reich an Vogelfutterstellen sind, (ii) die Vogelfütterung einen Effekt auf den Genfluss hat, entweder durch Förderung der Bewegungen innerhalb des städtischen Mosaiks oder, im Gegenteil, durch Verstärkung des sesshaften Verhaltens, und (iii) die Vogelfütterung genetische und phänotypische Variationen erklärt, entweder durch Begünstigung einiger Genotypen/Phänotypen (z. B. längere Schnäbel) oder, im Gegenteil, durch Lockerung der Auswahl.