Geschlechtsspezifische Kindheiten in der Bronzezeit
Sex-based differences in Bronze Age childcare
Wissenschaftsdisziplinen
Biologie (30%); Chemie (30%); Geschichte, Archäologie (40%)
Keywords
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Sex Determination,
Gender,
Childhood,
Peptides,
Proteomics,
Bronze Age
Frühbronzezeitliche Gemeinschaften in Mitteleuropa bestatteten männliche und weibliche Körper unterschiedlich. Die Toten wurden entweder auf der linken oder rechten Körperseite ins Grab gelegt, mit dem Kopf nach Norden oder Süden, und geschlechtstypische Grabbeigaben begleiteten häufig die Toten. Archäolog*innen vergleichen die geschlechtsspezifische Behandlung der Toten mit dem biologischen Geschlecht der bestatteten Person, um Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie Geschlecht in der Vergangenheit konstruiert wurde. Während sich die Skelettmorphologie von erwachsenen Männern und Frauen ausreichend für eine osteologische Geschlechtsbestimmung unterscheidet, ist dies bei Kindern vor der Pubertät nicht der Fall. Buben und Mädchen können anhand von Skelettmerkmalen nicht zuverlässig unterschieden werden, und die genetische Geschlechtsbestimmung ist durch die Erhaltung der DNA limitiert. Vor kurzem wurde jedoch erkannt, dass Amelogenin-Proteinfragmente im menschlichen Zahnschmelz geschlechtsspezifisch sind und mit Hilfe der Nano-Flüssigkeitschromatographie-Tandem-Massenspektrometrie (nanoLC-MS/MS) nahezu zerstörungsfrei analysiert werden können. Diese neue Methode hat das Potenzial, sowohl die Geschlechterarchäologie als auch die Archäologie der Kindheit massiv zu verändern. Dieses Projekt wird die Identifizierung geschlechtsspezifischer Peptide im menschlichen Zahnschmelz als Standardanalyseverfahren etablieren und die Daten über das Geschlecht der bestatteten Kinder nutzen, um eine Reihe dringender Fragen zur geschlechtsspezifischen Mortalität, Morbidität und Bestattungsbehandlung bei Kindern der Bronzezeit zu beantworten. Wir werden geschlechtsspezifische Wachstumskurven erstellen und damit die osteologische Bestimmung des Sterbealters für die Bevölkerungen der Bronzezeit verbessern. Wir werden wissen, ob Mädchen und Buben als Säuglinge und während der Kindheit gleich behandelt wurden oder ob Kindermord, Unterernährung, Traumata und Krankheiten eines der beiden Geschlechter unverhältnismäßig stark betrafen. Wir werden verstehen, ab welchem Zeitalter Gesellschaften durch kulturelle Praktiken auf das Geschlecht von Säuglingen und Kleinkindern reagierten, z. B. indem sie sie unterschiedlich kleideten oder sie nach männlichen oder weiblichen Riten bestatteten. Wir werden geschlechtsspezifische Wertesysteme und ihre Entwicklung in der Kindheit und Jugend erforschen, um mehr über die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu erfahren. Darüber hinaus wird das Projekt den Weg für die Entwicklung neuer Anwendungen für die Analyse des menschlichen Proteoms ebnen, um die Geschichte von Krankheiten und Anpassungen des Lebensstils in der Vergangenheit zu untersuchen.
Frühbronzezeitliche Gemeinschaften in Mitteleuropa bestatteten männliche und weibliche Körper unterschiedlich. Die Toten wurden entweder auf der linken oder rechten Körperseite ins Grab gelegt, mit dem Kopf nach Norden oder Süden, und geschlechtstypische Grabbeigaben begleiteten häufig die Toten. Dies zeigt ein binäres Verständnis von Geschlecht mit einer strikten Unterscheidung zwischen Männern und Frauen. Während sich die Skelettmorphologie von erwachsenen Männern und Frauen ausreichend für eine osteologische Geschlechtsbestimmung unterscheidet, ist dies bei Kindern vor der Pubertät nicht der Fall. Jungen und Mädchen können anhand von Skelettmerkmalen nicht zuverlässig unterschieden werden, und die genetische Geschlechtsbestimmung ist durch die Erhaltung begrenzt. In diesem Projekt setzten wir eine neue und revolutionäre Methode zur Geschlechtsbestimmung ein: die Analyse von Amelogenin-Proteinfragmenten im menschlichen Zahnschmelz mittels Nano-Flüssigkeitschromatographie-Tandem-Massenspektrometrie (nanoLC-MS/MS). Wir identifizierten das Geschlecht der bestatteten Kinder und verglichen es mit geschlechtsspezifischen Aspekten der Bestattungsrituale. Mit dieser Methode untersuchten wir auch Bestattungen, bei denen das Geschlecht der bestatteten Erwachsenen nicht wie erwartet mit den geschlechtsspezifischen Aspekten der Totenbehandlung übereinstimmte, um Rückschlüsse auf die Konstruktion von Geschlecht in der Vergangenheit zu ziehen. Wir haben das Geschlecht von 315 Kindern aus Franzhausen II, unserer primären frühbronzezeitlichen Fallstudie, identifiziert und bedeutende Fortschritte bei der osteologischen Bewertung menschlicher Überreste und der Digitalisierung der Kontextdokumentation erzielt. Wir haben auch mit mitteleuropäischen Forschungspartnern zusammengearbeitet, um das Geschlecht von Individuen zu bestimmen, die in bekannten Friedhöfen wie Hoštice (56), Branč (21), Nagycenk-Lapos-rét (6), Nagycenk-Farkasverem (16), Mokrin (73) und Ostojićevo (91) bestattet wurden. Wir konnten nachweisen, dass Kinder von Geburt an aufgrund ihres biologischen Geschlechts in das binäre Geschlechtersystem einbezogen wurden und dass es in frühbronzezeitlichen Gemeinschaften keine Geschlechterselektion bei der Bestattung gab. Eine weitere Kontextualisierung mit archäologischen und osteologischen Daten ist im Gange, um zu klären, ob Kindermord, Unterernährung, Traumata und Krankheiten beide Geschlechter gleich stark betroffen haben. Wir stellten weiters fest, dass erwachsene Individuen, von denen wir bisher annahmen, dass sie nicht dem vorherrschenden Geschlechtsmuster entsprechen, größtenteils auf Fehler bei der osteologischen Geschlechtsbestimmung zurückzuführen sind. Da die Identifizierung des Geschlechts anhand von Amelogenin-Proteinfragmenten besonders wertvoll für die Auswertung fragmentierter und vermischter menschlicher Überreste aus heißen und trockenen Gebieten ist, haben wir in Zusammenarbeit mit spanischen Universitäten einen zweiten Forschungsschwerpunkt entwickelt, mit Proben aus Humanejos (37), Montellirio (29), Panora (7) und La Molina (8). Wir konnten falsche Vorstellungen über die Geschlechterverhältnisse in der iberischen Vorgeschichte korrigieren und weibliche Führungsrollen in kupferzeitlichen Gesellschaften nachweisen. Die Förderung durch den FWF hat es uns ermöglicht, die neue Methode der Geschlechtsbestimmung als bioarchäologisches Routineverfahren zu etablieren, sie auf aussagekräftige Fallstudien in der europäischen Urgeschichte anzuwenden und ein Netzwerk von Archäolog*innen aufzubauen, die großes Interesse daran haben, die wissenschaftliche Grundlage der Gender-Archäologie zu verbessern.
Research Output
- 97 Zitationen
- 9 Publikationen
- 3 Wissenschaftliche Auszeichnungen
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2025
Titel More Error than Minority: Gendered Burial Practices Align with Peptide-based Sex Identification in Early Bronze Age Burials in Central Europe DOI 10.1017/s095977432500006x Typ Journal Article Autor Rebay-Salisbury K Journal Cambridge Archaeological Journal Seiten 456-471 Link Publikation -
2025
Titel Gendered burial practices in Copper Age non-adults of Iberia: Evidence from peptide-based sex identification at Humanejos (Madrid, Spain) DOI 10.1016/j.jasrep.2025.105290 Typ Journal Article Autor Herrero-Corral A Journal Journal of Archaeological Science: Reports Seiten 105290 Link Publikation -
2022
Titel Gendered burial practices of early Bronze Age children align with peptide-based sex identification: A case study from Franzhausen I, Austria DOI 10.1016/j.jas.2022.105549 Typ Journal Article Autor Bortel P Journal Journal of Archaeological Science -
2024
Titel Female sex bias in Iberian megalithic societies through bioarchaeology, aDNA and proteomics DOI 10.1038/s41598-024-72148-x Typ Journal Article Autor Díaz-Zorita Bonilla M Journal Scientific Reports Seiten 21818 Link Publikation -
2023
Titel To Gender or not To Gender? Exploring Gender Variations through Time and Space DOI 10.1017/eaa.2022.51 Typ Journal Article Autor Gaydarska B Journal European Journal of Archaeology Seiten 271-298 Link Publikation -
2023
Titel In the bosom of the Earth: a new megalithic monument at the Antequera World Heritage Site DOI 10.15184/aqy.2023.35 Typ Journal Article Autor Sanjuán L Journal Antiquity Seiten 576-595 Link Publikation -
2023
Titel Amelogenin peptide analyses reveal female leadership in Copper Age Iberia (c. 2900–2650 BC) DOI 10.1038/s41598-023-36368-x Typ Journal Article Autor Cintas-Peña M Journal Scientific Reports Seiten 9594 Link Publikation -
2023
Titel Dental wear and oral pathology among sex determined Early Bronze-Age children from Franzhausen I, Lower Austria. DOI 10.1371/journal.pone.0280769 Typ Journal Article Autor Bas M Journal PloS one -
2023
Titel A case of congenital multiple epiphyseal dysplasia from the Late Migration Period graveyard in Drnholec (Czech Republic). DOI 10.1016/j.ijpp.2022.11.003 Typ Journal Article Autor Vargová L Journal International journal of paleopathology Seiten 33-40
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2025
Titel Kiel Keynote: Sex, gender and the Third Science revolution Typ Personally asked as a key note speaker to a conference Bekanntheitsgrad Continental/International -
2024
Titel Cambridge Elements series Gender & Archaeology Typ Appointed as the editor/advisor to a journal or book series Bekanntheitsgrad Continental/International -
2024
Titel Corresponding Member of the Austrian Academy of Sciences Typ Awarded honorary membership, or a fellowship, of a learned society Bekanntheitsgrad National (any country)