Eltern und die COVID-19 Pandemie

Die COVID-19 Pandemie und die begleitenden Maßnahmen stellen Eltern vor enorme Herausforderungen. Ausgangsbeschränkungen,soziale Distanzregeln, Schließungenvon KinderbetreuungseinrichtungenundSchulen, Homeoffice, wiederholte Lockdowns und Wiederöffnungsphasen bedeuten eine Vervielfältigung elterlicher Aufgaben (z.B. ökonomische Absicherung der Familie, Vereinbarung von Kinderbetreuung und Berufsarbeit, Übernahme der Rolle als Lehrperson im Homeschooling, Organisation des Familienlebens, Anpassung von Alltagsstrukturen und familialen Normen, Ermöglichen von Sicherheit und Wohlbefinden für die Kinder, Umgang mit kindlichen Gefühlen und Ängsten, Selbstfürsorge für das eigene körperliche und emotionale Wohlbefindens). Diese zusätzlichen Verantwortlichkeiten können Rollenüberlastung und Stress erzeugen. Die qualitative Längsschnittstudie Eltern und die COVID-19 Pandemie ermöglicht detaillierte Einblicke in elterliche Erfahrungen mit der Pandemie im Zeitverlauf. Die Studie hat drei Zielsetzungen: (1) Sie analysiert elterliche Erfahrungen und Ressourcen während der COVID-19 Pandemie. (2) Sie identifiziert die zentralen Praktiken und Strategien, die Eltern im Umgang mit dem Coronavirus und den jeweiligen Einschränkungen entwickeln. (3) Sie untersucht die Perspektiven von Eltern auf die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie. In der österreichweiten qualitativen Längsschnittstudie werden 98 Eltern von Kindern im Kindergarten- oder Schulalter mittels zweiter methodischer Verfahren befragt (problemzentrierte Interviews, Tagebucheinträge). Die Datenerhebung begann in der ersten Woche des ersten Lockdowns im März 2020 und wird seither fortgeführt (wöchentliche bzw. 2-wöchentliche Kontakte zwischen März und Juni, weitere Datenerhebungswellen im Sommer und Herbst 2020 sowie im Frühling 2021). Zehn Datenerhebungswellen wurden bereits abgeschlossen, mindestens zwei weitere Erhebungen sind geplant. Insgesamt wird damit eine Zeitspanne von zwei Jahren seit dem ersten Lockdown abgedeckt. Die Datenanalyse erfolgt mittels Grounded Theory. Diese Studie basiert auf einer außergewöhnlich großen und reichhaltigen qualitativen Datenbasis. Sie ermöglicht es, im Detail zu untersuchen, wie Eltern im Zeitverlauf mit den Herausforderungen der COVID-19 Pandemie umgehen. Die Studie bietet eine umfassende soziologische Analyse der Auswirkungen der Pandemie auf Eltern und ihre Familien. Das ermöglicht es, Empfehlungen und Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln und damit negative Folgen für Eltern, Kinder und Familien zu verringern, wenn ähnliche Krisen in der Zukunft auftreten.

Familien und Eltern waren von den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie (z.B. Lockdowns, Schließungen von Schulen und Kindergärten) besonders stark betroffen. Welche Herausforderungen erlebten sie während der Pandemie? Welche Strategien entwickelten sie, und welche Ressourcen standen ihnen dabei zur Verfügung? Zur Beantwortung dieser Fragen begleitete ein Forschungsteam 98 Eltern von Kindergarten- und Schulkindern mehr als zwei Jahre lang. Die Eltern wurden ab dem Beginn des ersten Lockdowns (März 2020) bis Juni 2022 insgesamt 12-mal befragt. Mit 65 Eltern wurden problemzentrierte telefonische Interviews geführt (insgesamt 727 Interviews), 33 Eltern erstellten Tagebuchaufzeichnungen (insgesamt 372 Tagebücher). Die Ergebnisse zeigen, dass Eltern und Familien während der Pandemie in einem permanenten Provisorium lebten und enorme Anpassungsleistungen unter rasch wechselnden Bedingungen erbringen mussten. Eine der größten Herausforderungen für die befragten Eltern war es, während dieser unsicheren Zeit Stabilität für ihre Kinder und Familien herzustellen. Im Verlauf der Pandemie beobachteten und begleiteten die Eltern emotionale, physische, soziale und bildungsbezogene Auswirkungen der Pandemie auf ihre Kinder. Besonders betonten sie die negativen Folgen für Jugendliche, die in dieser Lebensphase wichtige Entwicklungsschritte (z.B. Loslösung vom Elternhaus, erste romantische Erfahrungen) aufgrund der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen nicht oder nur eingeschränkt machen konnten. Um die Stabilität im Familienleben (wieder-)herzustellen und ihre Kinder und Jugendlichen umfassend zu unterstützen, entwickelten Eltern unterschiedliche Strategien mit dem Ziel, die persönlichen, beruflichen und familialen Bedürfnisse unter den sich rasch verändernden Bedingungen bestmöglich in Einklang zu bringen. Welche Strategien Eltern anwenden konnten, war stark abhängig von sozioökonomischen Merkmalen (z.B. Anzahl und Alter der Kinder, verfügbare Ressourcen, Wohnsituation). Im Verlauf der Pandemie steckten vor allem Mütter häufig ihre eigenen Bedürfnisse zurück und gingen an oder sogar über ihre Belastungsgrenzen. Die Pandemie war sozial selektiv: Die Belastungen waren ungleich verteilt, und die Auswirkungen waren nicht für alle gleich. Alleinerzieherinnen und ihre Familien waren besonders stark von betroffen. Insgesamt zeigten die befragten Eltern ein hohes Potenzial zur Krisenbewältigung. Sie konnten unter schwierigen Umständen und trotz zunehmender Erschöpfung einen resilienten Umgang mit der Pandemie entwickeln und die Organisation des Familienalltags, die Begleitung der Kinder sowie die schulischen und beruflichen Anforderungen meistern. Eltern und insbesondere Mütter waren während der COVID-19 Pandemie die zentrale und oft unsichtbare Kraft im Hintergrund. Sie leisteten einen zentralen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft während der Pandemie, der bis heute nur unzureichend anerkannt wurde.