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Verhandlungen von Geschlechtergrenzen in der Technik

Gendering of Boundary work in Engineering

Tanja Paulitz (ORCID: )
  • Grant-DOI 10.55776/P22034
  • Förderprogramm Einzelprojekte
  • Status beendet
  • Projektbeginn 01.02.2010
  • Projektende 31.03.2013
  • Bewilligungssumme 173.901 €
  • Projekt-Website

Wissenschaftsdisziplinen

Andere Technische Wissenschaften (20%); Soziologie (80%)

Keywords

    Technology/Engineering, Gender/Gendering, Theory-Practice-Boundary, Bondary Work, Masculinities, Emergence/Current Transformations

Abstract Endbericht

Zentraler Ausgangspunkt des Projekts ist die Annahme, dass Unterscheidungen (Grenz-ziehungen) im ingenieurwissenschaftlichen Fachwissen und in technikbezogenen Fachdebatten für die Geschlechterforschung relevant sind. In der Geschichte der Ingenieurwissenschaften im deutschsprachigen Raum war insbesondere die Grenzziehung zwischen Theorie und Praxis von herausragender Bedeutung für die Entstehung des modernen Technikverständnisses. Die Frage, ob Ingenieurwissenschaft sich am naturwissenschaftlichen Rationalitätsideal orientiert oder ob sie sich hauptsächlich als angewandte Naturwissenschaft oder eher als `schaffende` (im Gegensatz zu einer erkennenden) Wissenschaft versteht, die auf Erfahrung und implizitem Wissen beruht, war und ist bis heute einflussreich für die Ausformulierung fachlicher Konzepte. Es existieren also verschiedene Spielarten, wie die Grenzen zwischen Theorie und Praxis gezogen wurden und werden (boundary work). Ziel des Projektes ist die Analyse von Konstruktionen von Geschlecht, die mit solchen Grenzziehungen in den deutschsprachigen Ingenieurwissenschaften verbunden sind. Zentrale Fragen sind: Welche sozialen Konstruktionen von Geschlecht sind mit der Theorie/Praxis-Grenzziehung verbunden? Welche bilden im historischen Verlauf stabile Muster aus? Wie funktionieren diese sozialen Konstruktionen als exkludierende Mechanismen? Die empirische Untersuchung beinhaltet zum einen eine Längsschnittanalyse: Ver-gleichend untersucht werden hier der Fachdiskurs in ingenieurwissenschaftlichen Fachzeit-schriften und seine Widerspiegelung im Allgemeinwissen, wie sie in Allgemeinlexika/ Enzyklo-pädien zu finden ist. Zum anderen ist eine qualitative Querschnittanalyse geplant, um verschie-dene ausgewählte Spezialgebiete der heutigen Ingenieurwissenschaft vergleichend zu studieren. Die Forschungsfragen sind im Einzelnen: Wie verändern sich geschlechterrelevante Muster der Theorie/Praxis-Unterscheidung über einen längeren Zeitraum innerhalb des Fachdiskurses? Welche Distributionsmuster in Richtung Allgemeinwissen lassen sich beobachten? Welche Formen sind gegenwärtig in eher etablierten bzw. innovativen Spezialgebieten erkennbar? Auf diese Weise wird im Projekt die Theorie/Praxis- Grenzziehung im diachronen Verlauf und in der synchronen Verteilung, wechselseitig aufeinander bezogen untersucht, um ein komplexes Bild des Feldes zu erhalten. Ein zusätzlicher Ertrag entsteht durch die Entwicklung adäquater methodologischer Ansätze für die empirische Untersuchung von genderrelevantem Wissen im Ingenieurbereich. Die breitere Zielsetzung ist es, auf Basis der Analyse eben jener Wissensgrundlagen der Ingenieurwissenschaften einen Beitrag zur Dekonstruktion stereotyper Geschlechterbilder in der Technik zu leisten. Ebenso geht es darum, vorherrschende Exklusionen auf einer symbolischen Ebene zu destabilisieren und ein heterogeneres Bild der Ingenieurwissenschaften zu befördern.

Im Anschluss an die neuere Wissenschaftsforschung sowie an wissenssoziologische und gendertheoretische Perspektiven wurde im Projekt der Frage nachgegangen, wie die Herausbildung von Fach- und Tätigkeitsverständnis sowie Berufsbild in den deutschsprachigen Technikwissenschaften, sowohl im historischen Verlauf als auch in der Gegenwart, mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Geschlecht verknüpft ist.Die durchgeführte Langzeituntersuchung zentraler innerfachlicher Debatten zeigt, wie seit der Professionalisierung des Ingenieurwesens zu einem akademischen Berufsfeld Mitte des 19. Jhd. bis heute das Fachverständnis zwischen Theorie- und Praxisorientierung oszilliert und die unterschiedlichen fachlichen Perspektiven mit je spezifischen Vorstellungen von Männlichkeit verbunden werden. Praktiker und Theoretiker entwickeln unterschiedliche Auffassungen von der Männlichkeit des Ingenieurs; und umgekehrt wird Männlichkeit in ganz unterschiedlichen Ausprägungen zur symbolischen Ressource für das Reüssieren der Ingenieure im akademischen Bereich. Eine parallel angelegte Langzeituntersuchung des in Lexika dokumentierten, historischen Allgemeinwissens zeigt, dass die Entstehung der modernen Technik das Resultat eines Prozesses der Verengung und mehrfachen Verschiebung der Definitionen von Technik ist. Ähnliche Verschiebungsprozesse finden im Wissen über die Maschine, den Ingenieur und die Konstruktionstätigkeit statt. Dabei rücken die gewerblichen Tätigkeiten in verwissenschaftlichter Form sowie die Arbeitsmaschine und ihre Gestaltung ins Zentrum; einhergehend entsteht der Ingenieurberuf als bürgerlicher, männlich konnotierter Beruf.Die ergänzend dazu durchgeführte qualitative Querschnittstudie bezieht sich auf die aktuelle Situation an österreichischen Technischen Universitäten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass im Vergleich von grundlagen- und anwendungsorientierten Fachgebieten zwei unterschiedliche Konzepte der Technikwissenschaft und des Ingenieurberufs vorherrschen. Sowohl das Konzept des technischen Theoretikers als auch das des technischen Generalisten erweisen sich als latent geschlechtlich aufgeladen und stellen somit zwei Spielarten technikwissenschaftlicher Männlichkeit dar.In der Gesamtbetrachtung kommt das Projekt zu folgenden Ergebnissen: 1. Die Konzeptionen von Fach und Beruf erweisen sich als hochgradig kontextabhängig und variabel, sowohl in historischer wie auch gegenwärtig in fachgebietsvergleichender Perspektive. 2. Konstruktionsweisen von Männlichkeit müssen als komplexe Phänomene betrachtet werden, wenn über das Verhältnis von Technik und Geschlecht nachgedacht wird. Eine monolithische Vorstellung von dem männlichen Ingenieur greift in mehrfacher Hinsicht zu kurz. Für gleichstellungspolitische Vorhaben bedeutet dies, 3., dass die (latente) männliche Markierung von technischen Fach- und Berufskonzepten miteinbezogen werden muss.

Forschungsstätte(n)
  • Universität Graz - 100%

Research Output

  • 18 Zitationen
  • 7 Publikationen
Publikationen
  • 2012
    Titel Mann und Maschine. Eine genealogische Wissenssoziologie des Ingenieurs und der modernen Technikwissenschaften, 1850-1930.
    Typ Book
    Autor Paulitz T
  • 2012
    Titel Geschlechter der Wissenschaft
    DOI 10.1007/978-3-531-18918-5_13
    Typ Book Chapter
    Autor Paulitz T
    Verlag Springer Nature
    Seiten 163-175
  • 2012
    Titel ‚Hegemoniale Männlichkeiten‘ alsnarrative Distinktionspraxis im Wissenschaftsspiel
    DOI 10.1007/s11614-012-0013-y
    Typ Journal Article
    Autor Paulitz T
    Journal Österreichische Zeitschrift für Soziologie
    Seiten 45-64
    Link Publikation
  • 2010
    Titel Verhandlungen der mechanischen Maschine. Geschlecht in den Grenzziehungen zwischen Natur und Technik.
    Typ Journal Article
    Autor Paulitz T
    Journal Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
  • 2013
    Titel Spielarten von Männlichkeit in den ,,Weltbildern“ technikwissenschaftlicher Fachgebiete
    DOI 10.1007/s00287-013-0698-8
    Typ Journal Article
    Autor Paulitz T
    Journal Informatik-Spektrum
    Seiten 300-308
  • 2011
    Titel Variable and flexible constructions of gender within German engineering. First outcomes of a long-term discourse analysis.
    Typ Conference Proceeding Abstract
    Autor Paulitz T
    Konferenz Hofstätter, Birgit; Getzinger, Günther, Hrsg., Proceedings of the 10th Annual IAS-STS Conference on Critical Issues in Science and Technology Studies, 2nd -3rd May 2011
  • 2011
    Titel Strukturen, Fachkulturen und Diskurse der Technikwissenschaften.
    Typ Book Chapter
    Autor Paulitz T

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