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Liebe in Paarkorrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts

Love in Couple Correspondences of the 19th and 20th Century

Christa Ehrmann-Hämmerle (ORCID: 0000-0001-7216-5769)
  • Grant-DOI 10.55776/P22030
  • Förderprogramm Einzelprojekte
  • Status beendet
  • Projektbeginn 01.05.2010
  • Projektende 30.04.2014
  • Bewilligungssumme 314.779 €

Wissenschaftsdisziplinen

Andere Geisteswissenschaften (20%); Geschichte, Archäologie (50%); Soziologie (30%)

Keywords

    Private Correspondence, History Of Emotions, Love Letter, Gender History, Gender Relations

Abstract Endbericht

Das Projekt ist mit seinen Fragestellungen, methodischen und theoretischen Prämissen an der Schnittfläche von Geschlechtergeschichte, Geschichte der Liebe und Geschichte des privaten Schreibens positioniert. Im Zentrum stehen Paarbeziehungen, Geschlechterpositionen und Liebe im 19. und 20. Jahrhundert - untersucht auf der Basis brieflicher Kommunikation zwischen Frauen und Männern. Gekoppelt an geschlechtergeschichtliche Zäsuren und mit dem Konzept der romantischen Liebe, sowie dem bürgerlichen Ehe- und Liebesmodell als Bezugspunkt, sollen im historischen Längsschnitt, der die 1870er bis 1970er Jahre umfasst, Wandel und Kontinuitäten untersucht werden. Geographisch liegt der Schwerpunkt auf Österreich. Diesem Forschungsvorhaben liegen populare Paarkorrespondenzen bzw. Liebesbriefen zugrunde, wobei hier auf zahlreiche unveröffentlichte Quellenbestände zurückgegriffen werden kann. Neben dem umfangreichen Material, das in der Sammlung Frauennachlässe in Wien bereit liegt, werden punktuell weitere Archivbestände requiriert und - um Lücken zu füllen - gezielte Aufrufe zur Quellenbeschaffung lanciert. Die situative Quelle Brief wird methodisch reflektiert und unter Bezugnahme auf Strategien der qualitativen Inhaltsanalyse sowie auf Ansätze diskursanalytischer Textanalyse befragt: nach Formen der Herstellung und Gestaltung von Beziehungen durch das Medium Brief, nach Prozessen der Reproduktion, Modifikation und Neuinterpretation von gesellschaftlichen Beziehungs-, Liebes- und Geschlechterkonzepten, nach möglichen Machtverhältnissen und Hierarchien, die sich im Zusammenhang mit den Geschlechterverhältnissen in den Briefen ausdrücken, nach Mechanismen der genderbezogenen Selbstvergewisserung und -konstruktion in Interaktion mit dem Gegenüber, sowie nach Spielräumen der BriefeschreiberInnen im Spannungsfeld von Diskurs und Erfahrung. Ziel ist es, die zur Analyse herangezogenen Selbstzeugnisse sowohl in Form eines Überblicks im historischen Längsschnitt, wie auch - bei signifikanten Beispielen - als Fallstudien zu erschließen. Die milieuspezifische Differenzierung des Quellenmaterials bildet dabei ebenso eine Grundlage wie die konsequente Kontextualisierung, samt Einbeziehung historisch-gesellschaftlicher - politischer wie biographischer - Rahmenbedingungen. Möglichkeiten nationaler und internationaler Vernetzung ergeben sich unter anderem im Rahmen der besonders im angloamerikanischen Raum rege - und aus Genderperspektive - betriebenen Brief- und Selbstzeugnisforschung sowie einer sich in den letzten Jahren zunehmend etablierenden Geschichte der Emotionen - wobei gerade die Frage nach der Bedeutung von Liebe und Emotionen für das Verhältnis der Geschlechter als Forschungsdesiderat gesehen werden kann.

Das Projekt Paarkorrespondenzen des 19. und 20. Jh. hat einen großen Bestand solcher Quellen aus verschiedenen sozialen Milieus für eng miteinander verflochtene Fragestellungen einer Geschichte der Geschlechterbeziehungen, der Liebe und des privaten Schreibens ausgewertet. Auf der Basis dieser Zeugnisse brieflicher Kommunikation, die uns großteils über die Sammlung Frauennachlässe zugänglich wurden, untersuchten Historikerinnen der Universitäten Wien und Salzburg (Projektleitung: Christa Hämmerle und Ingrid Bauer), welche Rolle das Medium Brief spielte, um Beziehungen anzubahnen, zu entwerfen, auf Dauer zu stellen oder zu trennen wobei immer auch Gefühle, Erwartungen, Wunschbilder und Zuschreibungen an das Gegenüber, weibliche und männliche Selbstentwürfe, Konzepte von Liebe und Ehe verhandelt werden. Dieser Fragenkosmos wurde für den Untersuchungszeitraum in einer Längsschnittperspektive ausgelotet, die das Projekt besonders ergebnisstark macht. In ihm wurden, ausgehend von einer großen Bandbreite an - mit der Software ATLAS-ti systematisch erschlossenen - inhaltlichen Vergleichskategorien neun Teilstudien erarbeitet. So etwa zur Sprache der Sexualität mit dem Ergebnis, dass die Thematisierung sexueller Wünsche, anders als der Tenor der Forschung suggeriert, schon vor der Sexuellen Revolution einen wichtigen Stellenwert in der Briefkommunikation von Paaren hatte, wenn auch lange nur mit einer verschlüsselten sprachlichen Oberfläche, etwa in Form von Metaphern. Die hohe Bedeutung gerade der brieflichen Kommunikation für das in die Zukunft gerichtete Verhandeln und Abstimmen der Liebes- und Beziehungsentwürfe zeigte sich u. a. darin, dass der Typus der eheeinleitenden Brautbriefe, die als Inbegriff des bislang meist eng definierten Liebesbriefes gelten können, bis in die 1960er Jahre weit verbreitet war. Weitere Teilstudien haben das Potential eines engeren zeitlichen Fokus für besonders differenzierte Analysen gewählt, etwa in Hinblick auf Gefühlspraktiken werbender Männer in der zweiten Hälfte des 19. Jh. oder zu Eifersucht in Feldpostbriefen des Ersten Weltkriegs und romantischer Liebe im Kontext des NS-Vernichtungskrieges.In der Zusammenschau von Briefbeständen aus den beiden Weltkriegen zeigt sich, wie sehr von den Kriegssystemen propagierte Gefühlsregime die privaten Korrespondenzen prägten. Das hohe Ausmaß, in dem sich die historischen Verhältnisse in das briefliche Kommunizieren über Liebe und Geschlechterbeziehungen einschrieben, war insgesamt signifikant. Das betraf etwa auch das Fin de Siècle oder die gesicherten Rahmenbedingungen des Wohlfahrtsstaates, der ab den 1960er Jahren der Kontext war für einen besonders dynamischen Umbau in den gesellschaftlich-strukturellen Mustern wie in den persönlichen Erfahrungen im Zusammenhang mit Liebe, Geschlechterrollen, Sexualität. Die Quelle Paarkorrespondenzen ermöglichte neue Einsichten in die intime Innenseite dieses Prozesses, auch aus männergeschichtlicher Perspektive. Gleichzeitig wurde im Gesamtvergleich aller Briefbestände deutlich, wie heftig die nunmehrige Erosion bislang gültiger - auf das hierarchische Ehe- und Liebesmodell des 19. Jh. bezogener - Diskurse und gelebter Praxen war, die allerdings, wie zwei Teilstudien des Projekts ebenfalls verdeutlichen, in ersten Ansätzen und in spezifischen Milieus auch schon in der geschlechtergeschichtlichen Umbruchphase um 1900 oder in den 1920er Jahren zu orten war. Dennoch blieben unterschiedlich angeeignete Aspekte des Konzepts der romantischen Liebe weiterhin wirkmächtig.

Forschungsstätte(n)
  • Universität Wien - 52%
  • Universität Salzburg - 48%
Nationale Projektbeteiligte
  • Ingrid Bauer, Universität Salzburg , assoziierte:r Forschungspartner:in
Internationale Projektbeteiligte
  • Ute Frevert, Max-Planck-Gesellschaft - Deutschland
  • Regina Schulte, Universität Stuttgart - Deutschland
  • Caroline Arni, Universität Basel - Schweiz
  • Claudia Opitz-Belakhal, Universität Basel - Schweiz
  • Gisela Brinker-Gabler, Binghamton University - Vereinigte Staaten von Amerika
  • Kathleen Canning, Rice University Houston - Vereinigte Staaten von Amerika
  • Benjamin Ziemann, The University of Sheffield - Vereinigtes Königreich
  • Caroline Bland, University of Sheffield - Vereinigtes Königreich

Research Output

  • 8 Publikationen
Publikationen
  • 2017
    Titel Liebe Schreiben: Paarkorrespondenzen Im Kontext Des 19. Und 20. Jahrhunderts
    Typ Book
    Autor Bauer Ingrid
    Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
  • 2012
    Titel Liebe in Zeiten des Krieges. Die Feldpostkorrespondenz eines Wiener Ehepaares (1917/18).
    Typ Journal Article
    Autor Rebhahn-Glück I
    Journal Österreich in Geschichte und Literatur mit Geographie
  • 2012
    Titel Verbriefte Gefühle. Eine Quellencollage 1910/11.
    Typ Journal Article
    Autor Verheyen N
  • 2013
    Titel Between Instrumentalisation and Self- Governing: (Female) Ego-Documents in the European Age of Total War.
    Typ Book Chapter
    Autor Hämmerle C
  • 2013
    Titel Vom „Götterfunken der Liebe“ bis zu „des Papstes heil’gem Segen“. Romantische Liebesrhetorik und katholischer Kontext in Paarkorrespondenzen aus Österreich
    DOI 10.7767/lhomme.2013.24.1.53
    Typ Journal Article
    Autor Asen B
    Journal L'Homme
    Seiten 53-72
  • 2013
    Titel Romantische Liebe.
    Typ Journal Article
    Autor Bauer I
    Journal Herausgabe.
  • 2014
    Titel 'Mit Sehnsucht wartent ' Liebesbriefe im Ersten Weltkrieg - ein Plädoyer für einen erweiterten Genrebegriff.
    Typ Journal Article
    Autor Hämmerle C
    Journal Geschichte der Gefühle - Einblicke in die Forschung
  • 2011
    Titel Entzweite Beziehungen? Zur Feldpost der beiden Weltkriege aus frauen- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive.
    Typ Book Chapter
    Autor Hämmerle C

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