Historische Grammatik des Tocharischen

Eine historische Grammatik des Tocharischen ist ein Desideratum, und zwar aus mehreren Gründen. Einerseits spielt das Tocharische mehr und mehr eine wichtige Rolle bei der Rekonstruktion der indogermanischen Grundsprache (vor allem von deren Verbalsystem) und stößt auf zunehmendes Interesse bei Vertretern nicht nur der Historischen, sondern auch der Allgemeinen Sprachwissenschaft. Diesem Interesse steht jedoch das völlige Fehlen eines vollständigen und auf dem neusten Stand der Forschung befindlichen Handbuches des Tocharischen. Auf der anderen Seite sind viele Fragen der tocharischen Grammatik, und zwar auch solche ganz grundlegender Natur, noch immer völlig kontrovers. Der Hauptgrund dafür ist, daß bisher nur ca. 20% des Textmaterials allgemein zugänglich gemacht worden sind, was wiederum zur Folge hatte, daß das meiste, was bisher von linguistischer Seite zum Tocharischen geschrieben worden ist, auf einer spärlichen und nicht selten auch falsch interpretierten Materialbasis beruht und einiges daher rein philologisch falsifiziert werden kann. Die von mir geplante historische Grammatik wird nun das prinzipiell verfügbare Sprachmaterial zu annährend 97% berücksichtigen können. Abgesehen von dem schlichten Vorteil, den eine solche Vervielfachung der Materialgrundlage bringt, kann diese Untersuchung auch ganz rezente Forschungsergebnisse berücksichtigen, die etwa die innere dialektale und soziolektale Gliederung der beiden tocharischen Sprachen und die für jede diachrone Fragestellung ganz wesentliche Chronologie der Manuskripte betreffen; für letztere können jetzt erst jüngst gewonnene Erkenntnisse zur Paläographie und die Resultate von 14C-Analysen herangezogen werden.