Österreichische Pressefotografie 1890-1938
Austrian Press Photography 1890-1938
Wissenschaftsdisziplinen
Andere Geisteswissenschaften (30%); Geschichte, Archäologie (40%); Medien- und Kommunikationswissenschaften (30%)
Keywords
-
Kulturgeschichte,
Kulturwissenschaft,
Medienforschung,
-kunde,
Pressefotografie,
Zeitgeschichte,
Österreichisch-Ungarische Monarchie
Im Jahr 1895 wurde die erste Fotoagentur gegründet. 1989, knapp hundert Jahre später, entstand mit dem Unternehmen CORBIS die weltgrößte Bildagentur. Sie vermarktet heute mehr als 70 Millionen Bilder. Das 20. Jahrhundert ist also geprägt von der fotografischen Massenreproduktion und der globalen Zirkulation von fotografischen Bildern. An der Wende zum 20. Jahrhundert entstand jenes komplexe Phänomen, das wir als fotografische Öffentlichkeit bezeichnen können. Voraussetzung dafür waren mehrere Faktoren: Fotografien wurden nun erstmals in großer Zahl in der illustrierten Massenpresse gedruckt, diese konnte ihre Auflagen ständig steigern, ein intensiver (ab den 1920er Jahren globaler) Handel mit fotografischen Bildern entstand, die Logistik des Bildtransport wurde immer kapillarer und ausgefeilter, die Übermittlung wurde immer mehr beschleunigt. Und schließlich: Massenhaft gedruckte Bilder wurden zu Nachrichten und zu Sensationen. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich - in Form einer Fallstudie - mit dem Entstehen dieser fotografischen Öffentlichkeit und damit mit der Vorgeschichte des globalen Bildermarktes. Es untersucht mit dem Instrumentarium der Fotografie-, Kultur- und Mediengeschichte die Entwicklung der Pressefotografie und der illustrierten Presse in Österreich zwischen 1890 und 1938. Im Zentrum der Untersuchung stehen Fotografien und Bildreportagen, die in österreichischen Wochenzeitungen erschienen sind. In einem ersten Schritt beschäftigt sich das Projekt mit grundlegenden Recherchen zu Basisdaten zur österreichischen Pressefotografie und Bildpresse. Dazu gehören biografische Informationen zu einzelnen Fotografen, Fotoagenturen und Fotoredakteuren, aber auch eine genaue Erfassung der illustrierten Printmedien und ihrer Entwicklung. Ebenso ist die Sichtung der erhaltenen Pressebildarchive bzw. der Nachlässe einzelner Fotografen vorgesehen. Der zweite Teil des Projektes untersucht in Form von ausgewählten Bild-Text-Analysen die Struktur, die "Rhetorik" und die Entwicklungsgeschichte der populären Bildpresse zwischen 1890 und 1938. Der dritte Abschnitt geht am Beispiel der Drehscheibe Budapest - Wien - Berlin den frühen Tendenzen zur Internationalisierung der Pressefotografie und den kulturellen Austauschprozesse zwischen Österreich/Ungarn und Deutschland nach. Das Projekt wird am Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien durchgeführt. Wissenschaftliche Kooperationspartner sind das Bildarchiv des Deutschen Historischen Museums, Berlin, und das Fotomuseum Kecskemét (Ungarn).
Das Projekt ist das erste medien- und kulturhistorische Forschungsprojekt, das, gestützt auf eine breite Materialbasis, die Frühgeschichte der österreichischen Pressefotografie untersucht. Das Projekt, das an der Schnittstelle zwischen Medien-, Kultur-, Foto- und Kunstgeschichte angesiedelt ist, analysiert die Entstehungsgeschichte populärer, massenhaft in Zeitungen gedruckter Bilder im Zeitraum zwischen 1890 bis 1938. Während die österreichische Kulturgeschichtsschreibung sich bisher sehr stark auf schriftliches Quellenmaterial und Dokumente der Hochkultur gestützt hat, plädiert das vorliegende Projekt für eine Stärkung der visuellen Geschichtsschreibung (visual history). Zugleich räumt es der Populärkultur einen zentralen Stellenwert in der Forschung ein. Es konnte nachgewiesen werden, dass die illustrierte Presse bereits um 1900 eine neue Form fotografischer Öffentlichkeit schuf, die sich grundlegend von der hochkulturellen Öffentlichkeit der Tagespresse unterscheidet. Bisherige Forschungen haben die frühe Blütezeit der Pressefotografie hauptsächlich in der Zwischenkriegszeit verortet. Aber bereits im ersten Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende kam es zu einer Professionalisierung der Pressefotografie. Innerhalb weniger Jahre wurde die Zeichnung als Nachrichtenmedium von der Fotografie verdrängt. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Fotoberichterstattung weitgehend durch. Bis über die Zwischenkriegszeit hinaus war die fotografisch illustrierte Zeitung das unumstrittene Bildmassenmedium. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt dieses allmählich Konkurrenz vom Fernsehen. Lange Zeit war das Ausgangsprodukt (Papierabzüge oder Negative) das primäre Quellenmaterial in der Erforschung der Pressefotografie, aber erstaunlicherweise nicht das Endprodukt, die in Zeitungen und Magazinen gedruckten Bilder. Das Forschungsprojekt untersuchte die Pressefotografie als Teil eines komplexen medialen Gefüges. Es analysierte die Arbeitsweise der Fotografen, die Verwendungsweise und Gestaltung der Bilder in der Presse, aber auch das ökonomische, politische und ideologische Umfeld der Zeitungen und die Veränderungen der technischen und kommerziellen Bedingungen, unter denen der Fotodruck erfolgte. Künftige Darstellungen der österreichischen Fotografiegeschichte werden angesichts der vorliegenden Ergebnisse ergänzt werden müssen. Denn viele der im Projekt untersuchten Bilder stammen von Pressefotografen, die in der fotohistorischen Forschung bisher gänzlich unbekannt waren. Die gewonnenen biografischen Informationen wurden in einer Datenbank gesammelt, sie werden in die Monografie einfließen, in der die Ergebnisse des Forschungsprojekts vorgestellt werden.
- Dieter Vorsteher, Deutsches Historisches Museum - Deutschland
- Karoly Kincses, Ungarisches Fotomuseum - Ungarn