Qualität beim Simultandolmetschen
Quality in Simultaneous Interpreting
Wissenschaftsdisziplinen
Psychologie (5%); Sprach- und Literaturwissenschaften (95%)
Keywords
-
Simultandolmetschen / simultaneous,
Qualitätskriterien/quality criteria,
Stimmqualität/voice quality,
Intonation,
Kommunikative Wirkung/communicative,
Verstehen/comprehension
Seit das Simultandolmetschen vor rund 50 Jahren als effizientes Mittel zur Überbrückung von Sprachbarrieren zunehmende Verbreitung fand, genießen KonferenzdolmetscherInnen Bewunderung und Vertrauen. Dass sie imstande sind, Reden in Echtzeit vollständig und genau zu übertragen, wird einer universitären Ausbildung und entsprechenden Arbeitsbedingungen zugeschrieben. Die Qualität von Dolmetschleistungen wird erst seit den 1980er Jahren problematisiert, wobei empirische Studien Unterschiede zwischen den Ansprüchen aus Dolmetscher- und Zuhörersicht und zwischen Erwartungen und Bewertungen zutage gebracht haben. Wenngleich als erwiesen gilt, dass Qualität beim Dolmetschen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten ist, ist der Zusammenhang zwischen professionellen Leistungsstandards, Kundenzufriedenheit und kommunikativer Wirkung noch weitgehend unerforscht. Dies gilt nicht zuletzt für die essenzielle Frage, ob die EmpfängerInnen der Dolmetschleistung die Rede ebenso gut verstehen wie jene, die direkt dem Original zuhören, was besonders angesichts der vermehrten Verwendung von Englisch als Lingua franca von Bedeutung ist. Damit verbunden ist zu klären, inwiefern paralinguistische Aspekte der Dolmetschleistung wie Intonation und Stimmqualität deren kommunikative Wirkung auf die ZuhörerInnen beeinflussen. Das Forschungsprojekt behandelt mit dieser Zielrichtung drei miteinander verbundene Dimensionen der Qualität - Kriterien, Beurteilung und Wirkung - aus verschiedenen Blickwinkeln, nämlich: 1) die Leistungsstandards von internationalen KonferenzdolmetscherInnen, 2) die Erwartungen und Urteile von ZuhörerInnen bezüglich Stimmqualität und prosodischer Phänomene, und 3) die kognitive Wirkung von simultan gedolmetschten Reden in Abhängigkeit von paralinguistischen Eigenschaften wie Akzent und Intonation. Grundlegendes Forschungsziel ist dabei die Effektivität der Kommunikationsmittlung durch Simultandolmetschen, wie sie von der Berufspraxis angestrebt, von den NutzerInnen erwartet und beurteilt, und in deren Rezeptionsergebnis manifest wird. Das Projekt bedient sich interdisziplinärer Methoden aus Bereichen wie der Kognitions- und Sozialpsychologie und der Angewandten Sprachwissenschaft und umfasst sowohl Umfragen als auch Experimente. Erstere werden für eine Befragung von KonferenzdolmetscherInnen weltweit als webgestützte Erhebung implementiert; die Rezeptionsforschung erfolgt mithilfe von eigens erstelltem Redematerial in Konferenzsimulationen anhand von Verständnisfragen und Bewertungsaufgaben. Für die Bearbeitung und Analyse der paralinguistischen Merkmale von Dolmetschleistungen kommen professionelle Tontechnikprogramme eines Aufnahmestudios zum Einsatz. Die Durchführung der Simulationsstudien mit ExpertInnenpublikum erfolgt in einem für Simultandolmetschen ausgestatteten Konferenzraum mit digitaler AV-Anlage für Wiedergabe und Aufzeichnung. Das Projekt baut auf neueren Entwicklungen in der Forschung zur Dolmetschqualität auf und betritt dabei theoretisches wie auch methodisches Neuland. Sein innovativer Forschungsansatz zur Beantwortung einer bislang kaum gestellten Grundfrage des Simultandolmetschens verspricht Erkenntnisse, die sich nachhaltig auf den Forschungsstand auswirken und von weitreichender Relevanz für die Praxis dieser Form der internationalen Verständigung sind.
Die Leistung von KonferenzdolmetscherInnen, deren Dienste die reibungslose internationale Kommunikation in mehrsprachigen Konferenzen und Organisationen ermöglichen sollen, wurde in dem Projekt hinsichtlich der zugrundeliegenden Rollenkonzepte und Qualitätsansprüche sowie auch der kommunikativen Wirkung auf die Zuhörerschaft erforscht. Nachdem die Qualitätskriterien und Rollenvorstellungen von KonferenzdolmetscherInnen bislang nur ansatzweise untersucht wurden, konnten die Mitglieder dieses internationalen Berufsstandes zum ersten Mal einer umfassenden Befragung zu diesen miteinander verknüpften Fragestellungen unterzogen werden. Mittels eines an über 2,500 Mitglieder des Internationalen Konferenzdolmetscherverbandes (AIIC) gerichteten webgestützten Fragebogens wurde erhoben, ob SimultandolmetscherInnen ihre Rolle eher im unauffälligen Umsetzen von Sprache oder im aktiven Mitgestalten von zielkulturadäquater Kommunikation sehen und ob sie in ihrer Verdolmetschung eher auf Originaltreue (z.B. Vollständigkeit) oder auf eine für ihre ZuhörerInnen optimale zielsprachliche Form und Darbietung bedacht sind. Die Umfrageergebnisse zeigen eine klare Priorisierung von "Sinnkonstanz", "logischem Zusammenhang" und "flüssiger Wiedergabe" sowie eine Höherbewertung von grammatikalischer und terminologischer Korrektheit gegenüber einer möglichst vollständigen Wiedergabe. Diese Rezipientenorientierung spiegelt sich auch in der Rollencharakterisierung wider. Die befragten DolmetscherInnen beschreiben sich vor allem als aktive Gestalter von Kommunikation und greifen seltener auf unpersönliche Metaphern wie "Brücke", "Bindeglied" oder "Instrument" zurück. Ungeachtet der von den KonferenzdolmetscherInnen artikulierten hohen Qualitätsansprüche kann die Qualität der tatsächlich erbrachten Leistungen angesichts der oft äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen hinter den Idealvorstellungen zurückbleiben. Abgesehen von Auslassungen und inhaltlichen Abweichungen wird in der Fachliteratur insbesondere auf normabweichende Redeflüssigkeit und Intonation hingewiesen. Inwieweit diese die Verständlichkeit der Verdolmetschung für die ZuhörerInnen beeinträchtigt, wurde im Projekt im Rahmen von Konferenzsimulationen mit über 100 deutschsprachigen Versuchspersonen erforscht, denen eine deutsche Simultanverdolmetschung eines englischen Fachvortrags in Versionen mit unterschiedlicher Prosodie präsentiert wurde. Das Versuchsdesign basierte auf einer eigens entwickelten Methode zur softwaregestützten Bearbeitung digitaler Audiodateien (zur Erzeugung von Unflüssigkeit und Monotonie) sowie einem Verstehenstest an parallelisierten und randomisierten Gruppen von betriebswirtschaftlich vorgebildeten Versuchspersonen. Obwohl die prosodischen Parameter nur im Rahmen des professionell Vertretbaren verschlechtert wurden, gingen sie mit einer verringerten Verständlichkeit sowie einer schlechteren Beurteilung der Dolmetschleistung einher. Ebenso wurde ein in nichtmuttersprachlichem Englisch gehaltener Fachvortrag von mit dieser Praxis vertrauten ZuhörerInnen weniger gut verstanden als eine professionelle Simultanverdolmetschung ins Deutsche. Die erzielten Ergebnisse sind sowohl für die Berufspraxis und Ausbildung als auch für die internationale Kommunikation mittels Englisch als Lingua franca von weit reichender Bedeutung.
- Universität Wien - 100%