Philosophie und Medizin im frühklassischen Indien 2
Philosophy and Medicine in Early Classical India 2
Wissenschaftsdisziplinen
Andere Humanmedizin, Gesundheitswissenschaften (10%); Mathematik (10%); Philosophie, Ethik, Religion (10%); Sprach- und Literaturwissenschaften (70%)
Keywords
-
South Asian Studies,
History of Indian Philosophy,
History of Indian Medicine,
Ayurveda,
Textual Criticism,
Cladistics
Die Carakasamhita ist eine der wichtigsten und ältesten Abhandlungen der klassischen indischen Medizin (Ayurveda), die auf die ersten Jahrhunderte u.Z. zurückgeht. Ihr drittes Buch, das Vimanasthana, ist eine reiche Quelle für unsere Kenntnis von grundlegenden Vorstellungen der frühklassischen indischen Medizin, insofern dort Themen wie das Wesen und die Klassifikation von Krankheiten zusammen mit ihrem Verhältnis zu den Geschmacksarten und den humores behandelt werden, die Arten und Verbindungen von Heilsubstanzen, die in der Therapie eingesetzten Nahrungsmittel, Speiseregeln und die Grundkonstitutionen von Patienten, die eine wichtige Rolle in der Therapie spielen. Das Buch ist ferner von hoher Relevanz für die Kultur- und Religionsgeschichte des frühklassischen Indien u.a. wegen der Behandlung von Epidemien und Umweltthematiken sowie der menschlichen Lebensspanne (ayus) in einem kosmologisch-mythologischen Kontext und in Verbindung mit Schicksal und menschlichem Handeln (karman). Ausserdem ist das Vimanasthana von grosser Bedeutung für die frühe Geschichte der indischen Philosophie: im Rahmen der umfangreichen Darstellung der medizinischen Diagnostik in den Kapiteln vier und acht wird die Epistemologie der indischen Medizin, die mit derjenigen der frühklassischen Philosophie eng zusammenhängt, in ihrem besonderen Kontext präsentiert, während die detaillierte Behandlung der wissenschaftlichen Debatte im achten Kapitel - im Kontext der medizinischen Didaktik und des beruflichen Wettbewerbs - einen Einblick in frühklassische indische Dialektik und die Anfänge der indischen Logik sowie wissenschaftssoziologische Aspekte gibt. Trotz der großen Relevanz der Carakasamhita insgesamt wurde der Text bisher noch nicht kritisch ediert, obwohl sein überlieferter Zustand problematisch ist. In Folge eines Vorprojekts, in dem Vimanasthana Kapitel 8 zum ersten Mal auf der Grundlage von 44 Manuskripten kritisch herausgegeben und ein erheblich verbesserter Text verfügbar gemacht wurde, strebt das Projekt die kritische Ausgabe des gesamten Vimanasthana an. Neben den verfügbaren Manuskripten, die vier großen Überlieferungsgruppen zugeteilt werden konnten, werden die Kommentare sowie das Zeugnis anderer klassischer Werke des Ayurveda berücksichtigt werden. Der älteste vollständig erhaltene Kommentar, Cakrapanidatta`s Ayurvedadipika (11. Jh.), wird bei der Textkonstituierung eine besondere Rolle spielen; es wird deshalb eine Arbeitsausgabe des Kommentars zum dritten Buch erstellt werden, um einen verlässlichen Zugang zu diesem wichtigen Zeugen zu gewinnen. Der resultierende kritische Text wird gut dokumentiert und gemäss modernster Textkritik wohl durchdacht sein, wobei innovative Methoden zum Einsatz kommen werden, wie eine computergestützte kladistische Analyse - aus der Evolutionsbiologie übernommen und adaptiert - mit dem Ziel der Bestätigung und Verfeinerung der stemmatischen Hypothese zu einer komplexen kontaminierten Überlieferung; der Text wird erstmals eine zuverlässige Quelle für Studien zu Einzelthemen des Vimanasthana darstellen und als Modell für kritische Ausgaben vergleichbarer Texte dienen. Eine umfangreich philologisch und historisch annotierte Übersetzung des achten Kapitels sowie annotierte Übersetzungen der anderen Kapitel auf Grundlage des kritischen Textes werden Indologen, Wissenschafts- und Philosophiehistorikern sowie Religions- und Kulturwissenschaftlern einen authentischen und historisch kontextualisierten Einblick in die einmalige Verbindung von Medizin, Dialektik, Philosophie und Religion im Vimanasthana der Carakasamhita gewähren.
Die in Sanskrit verfasste Carakasamhita ist eines der ältesten Werke der klassischen indischen Medizin (Ayurveda) (ca. 1. bis 2. Jh. u.Z.). Ihr drittes Buch, das Vimanasthana, ist eine reiche Quelle für unsere Kenntnis grundlegender Vorstellungen und Begriffe der frühklassischen indischen Medizin. Es ist ferner von Relevanz für die Kultur- und Religionsgeschichte des frühklassischen Indien. Darüber hinaus ist das Vimanasthana besonders wichtig für die Kenntnis der Frühgeschichte der indischen Philosophie: seine Behandlung der medizinischen Diagnostik in Kapitel vier und acht steht in einem verwickelten Verhältnis zur frühklassischen Epistemologie, während die Darstellung der gelehrten Debatte als Teil der Medizindi-daktik, der Fortbildung und der beruflichen Wettbewerbspraxis Einblicke in die frühklassische Dialektik und die Anfänge der indischen Logik gewährt sowie in Aspekte der Wissenschaftssoziologie. Das wichtigste zentrale Resultat des Projekts ist die erstmalige kritische Ausgabe des philosophisch rele-vantesten achten Kapitels. Auf der Grundlage von 55 Manuskripten (Mss.) wurde ein gründlich dokumen-tierter, wohl begründeter und bedeutend verbesserter Text konstituiert. Dabei wurden zwei sich ergänzen-de Zugangsweisen neuartig integriert: die kladistische Analyse der Varianten (d.h. ein quantitativer Zu-gang) und ihre textkritisch- philologische Diskussion (d.h. ein qualitativer Zugang) mit stemmatologischen Überlegungen. Obwohl die Anwendung der kladistischen Methode auf Texttraditionen beschränkt ist, z.B. wegen des Vorkommens von Kontamination, stellte sich die Verwendung von Werkzeugen der Kladistik, einer in der systematischen Biologie entworfenen Methode zur Rekonstruktion von Entwicklungsstamm-bäumen von Gattungen, als sehr wertvoll für die Entwicklung des hypothetischen stemma codicum heraus. Es konnte damit erstmals gezeigt werden, dass die Mehrheit der heute noch verfügbaren Mss. des Vimana-sthana zwei Rezensionen (kaschmirisch und östlich) mit vier großen Überlieferungszweigen zuzuordnen sind. Die kaschmirische Tradition bewahrt dabei eine ursprünglichere Version des Textes als die anderen Zweige. Der älteste vollständig erhaltene Kommentar zum Werk, Cakrapanidattas Ayurvedadipika (11. Jh.), wurde auf Grundlage von neun Mss. kollationiert und konnte als auf einer frühen Version des benga-lischen Zweiges basierend bestimmt werden. Aspekte der innovativen Methodologie und der Überliefe-rung des Kapitels wurden in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen international präsentiert. Der kritische Text bildete die Grundlage für Studien u.a. zu Logik, Debatte und Epistemologie in der alt-indischen Medizinwissenschaft und der Historiographie der indischen Philosophie, zur Initiation des Me-dizinstudenten, zu rituellen Elementen der medizinischen Initiation im Vergleich mit den orthodox-brahmanischen Ritualen und zu Bildern von Ärzten und ihren beruflichen Rivalen im frühklassischen Ayurveda, im weiteren Kontext der religiösen Affiliation der indischen Medizingelehrten und -praktizierenden, zu deren Selbstverständnis und Selbstbehauptung im sozio-religiösen Kontext und weiter zur Soziologie ihres Berufes. Ferner erfolgten Studien zur Patientenkonstitution gemäß dem Vimanasthana und zum Dialog zwischen Arzt und Patient im Hinblick auf Behandlung durch Wissen über die Gesund-heit. Es konnten außerdem eine erstmalige strukturelle Analyse von Vimanasthana 8 und eine Untersu-chung kulturgeschichtlicher Aspekte der Überlieferung der Carakasamhita anhand der verfügbaren Mss. erfolgen, ergänzt durch eine textgeschichtliche Studie zum sechsten Buch (Cikitsasthana) des Werkes.
- Universität Wien - 100%
Research Output
- 4 Zitationen
- 1 Publikationen
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2022
Titel Ayurveda, philology and print. On the first printed edition of the Carakasa?hita and its context DOI 10.1080/19472498.2022.2036402 Typ Journal Article Autor Pecchia C Journal South Asian History and Culture Seiten 112-134 Link Publikation