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Terminologie der Wanderhirten

Terminology of mobile shepherds

Thede Kahl (ORCID: 0000-0002-1725-8070)
  • Grant-DOI 10.55776/P19406
  • Förderprogramm Einzelprojekte
  • Status beendet
  • Projektbeginn 01.02.2007
  • Projektende 31.10.2010
  • Bewilligungssumme 308.500 €

Wissenschaftsdisziplinen

Humangeographie, Regionale Geographie, Raumplanung (20%); Sprach- und Literaturwissenschaften (80%)

Keywords

    Fernweidewirtschaft, Hirtenkultur, Balkanologie, Kulturkontakt, Sprachwandel

Abstract Endbericht

Großteile der fachspezifischen Hirtenterminologie, insbesondere die Bezeichnungen für Molkerei- und Wollprodukte sowie für Fellfarben und Viehrassen, ähneln sich im Albanischen, Griechischen, Makedonischen und Aromunischen trotz Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sprachen und Sprachfamilien. Da sich viele Etymologien aus keiner dieser Sprachen heraus erklären lassen, wurde vielfach von einem unbekannten Substrat ausgegangen, das diesen gemeinsamen Formen zugrunde lag. Das vorgestellte Projekt soll nicht nur diesen Etymologien nachgehen, sondern viel mehr auch die Vorgänge und Kontaktsituationen beschreiben, die für Wanderhirten charakteristisch sind und den kulturellen Austausch zwischen Hirten unterschiedlicher Sprachzugehörigkeit und der nicht weidewirtschaftlich aktiven Bevölkerung bedingen. Dabei liegt der Fokus auf mobilen Hirtengesellschaften sowie auf Personen und Gruppen, die das Wanderhirtentum aufgegeben haben und einer lokalen Weidewirtschaft oder anderen Berufen nachgehen. Die Beobachtung dieses Prozesses der Umorientierung zu anderen Überlebensstrategien wird eine bessere Vorstellung über die sozialen und professionellen Verhältnisse, die jeweiligen Kontaktsituationen und Vorgänge des Sprachkontaktes sowie über Assimilation und Akkulturation in Vergangenheit und Gegenwart ermöglichen. Ziel ist daher eine kulturgeographische und ethnolinguistische Dokumentation im Dreiländereck Albaniens, Griechenlands und der Republik Makedonien (FYROM), die den Wandel beschreibt, die mobile Hirtengesellschaften während des Prozesses ihrer Sesshaftwerdung vollzogen haben bzw. noch durchmachen. Die Forschungen müssen zügig angegangen werden, da diejenigen Gesprächspartner, die noch ausschließlich von der Fernweidewirtschaft gelebt haben, aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr lange befragt werden können. Der Vergleich der Hirtenterminologie bezieht sich auf alltägliche Gegenstände, Produkte und Vorgänge der Fernweidewirtschaft und ihrer Bezeichnungen in den betreffenden vier Sprachen sowie den im Untersuchungsraum gesprochenen Dialekten. Wichtigste Methode, sich dieser Fragestellung zu nähern, sind ausgedehnte Feldforschungen, auf denen ein Fragebogen Anwendung findet, der aus verschiedenen praxisbewährten Modellen zusammengestellt wurde. Er besteht (1.) aus einem narrativen Teil zum Alltag im Hirtenleben, zum Vorgang der Sesshaftwerdung, zur materiellen Kultur sowie zur Biographie des Interviewten und (2.) aus einer Wörterliste zu Gegenständen und Produkten. Der Fragebogen wurde in Zusammenarbeit mit der Balkan-Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf mehreren Feldaufenthalten in Albanien und Griechenland getestet und mehrfach modifiziert; die im Antrag genannten Mitarbeiter haben in der Vorbereitungsphase und zuvor in anderen Projekten bereits erfolgreich miteinander gearbeitet. Sämtliche Kollegen sind dadurch bereits gut in die Feldforschungsarbeit eingewiesen worden. Die für die Feldaufenthalte nötigen Kontakte existieren bereits.

Durch das Nebeneinander von unterschiedlich hoch gelegenen Gebieten auf engem Raum sowie durch die sich saisonal verändernden klimatischen Bedingungen und den davon abhängigen Vegetationszyklus führten die Wanderhirten Südosteuropas ausgedehnte Herdenwanderungen zwischen Höhenlagen im Sommer und Tieflagen im Winter durch. Während der Übergangsjahreszeiten wurden Strecken von bis zu 400 km in mehreren Wochen zurückgelegt. Für die Hirtenbevölkerung war und ist es wichtig, die optimalen Winter- und Sommerweiden zu finden und zu nutzen. Relief, Boden, Klima und Vegetation bedingen verschiedene Formen der Weidewirtschaft. Hinzu kommt die bis heute anhaltende wirtschaftliche und politische Unsicherheit in der Vergangenheit, die zur Entstehung der familiär organisierten Hirtengesellschaft in ihrer nomadischen, örtlich ungebundenen Form beitrug. Durch Feldforschungen konnte zwischen Hirtengruppen unterschieden werden, die mit den Herden im Jahreszyklus immer wieder auf gleichen Wegen und Weidegründen unterwegs sind, und Gruppen, die ständig neue Weideziele ansteuern. Der Versuch, die verschiedenen Wirtschaftsformen der Wanderhirten zu charakterisieren, führte zu einer Diskussion der Begriffe Almwirtschaft, Transhumanz und Nomadismus. Die Vielfalt der Viehhaltungsformen lässt sich am besten durchschauen, wenn man nach den Besitzverhältnissen fragt: Im Nomadismus gehört das mitwandernde Vieh dem Familienoberhaupt und wird an den ältesten Sohn vererbt. In der Transhumanz gehört den Wanderhirten kein Vieh; die Hirten werden von sesshaften Herdenbesitzern bezahlt, die anderen Tätigkeiten nachgehen. Bei der Almwirtschaft wird eigener Viehbesitz in der Nähe permanent bewohnter Siedlungen gehalten und im Sommer von Familienmitgliedern oder saisonalen Angestellten in Höhenlagen geführt. Bei stationärer Viehhaltung, Koppel- und Einzeltierhaltung wird eigenes Vieh entweder ständig (Standweide) oder im Wechsel von Weiden und Mähen (Umtriebsweide) auf Weideflächen gehalten. Ein wesentlicher Einschnitt in das Leben der Wanderhirten war die Bildung der Nationalstaaten im Laufe des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während die Hirten über Jahrhunderte im Byzantinischen und Osmanischen Reich mit ihren Herden ungehindert über weite Räume zu ziehen gewohnt waren, mussten sie mit der Grenzziehung hohe Zollgebühren entrichten, bis der Eiserne Vorhang die Grenzen schließlich vollkommen verriegelte. In den Nationalstaaten kam es in Folge zu umfangreichen Zwangsansiedlungen. Die Hirten entzogen sich durch ihre Wanderungen der Kontrolle durch die Verwaltung, daher waren sie vielen Politikern ein Dorn im Auge. Starke Veränderungen vollzogen sich auch im Bereich der Siedlungen. Die reinen Hirtendörfer, die im Fall nomadischer Gruppen aus provisorischen Hütten oder Zelten bestanden, sind ein- bis zweistöckigen Häusern oder Blockhütten gewichen. Die bescheidenen Behausungen, die sich aufgrund des Materials (Stroh, Holz) hervorragend in die Naturlandschaft einfügten, haben einem Hüttentyp Platz gemacht, dem wohl keinerlei touristischer oder ästhetischer Wert abgewonnen werden kann. In der Regel bestehen sie aus aufgeschichteten Betonklötzen oder Ziegeln und einem Wellblechdach, das zusätzlich durch eine Plastikfolie gegen Schnee und Regen gesichert wird. Doch auch heute, nachdem die ausgedehnten Viehwanderungen über große Entfernungen hinweg weitgehend aufgegeben wurden, stellt die Weidewirtschaft einen wesentlichen Faktor für Erhalt und Gestaltung der Kulturlandschaft Südosteuropas dar. Die Prozesse der Sesshaftwerdung hinterlassen ihre Spuren auch in den Sprachen der untersuchten Gruppen. Man kann aufgrund der beschriebenen Vorgänge davon ausgehen, dass die Verbindung einsprachiger Ruralbevölkerung, mehrsprachiger Urbanbevölkerung und saisonal angewandter, lückenhafter Mehrsprachigkeit der analphabetischen Hirten verstärkt zur Bildung von Interferenzen führte. Somit kommen die Hirten in verstärktem Maße für die Vermittlung von Lexik in Frage, während die alphabetisierten Gesellschaften durch ihre schriftlich fixierten Sprachen auch morphologische und syntaktische Strukturen vermitteln können. Dementsprechend wirkten das Griechische, Lateinische und Kirchenslawische, später auch westeuropäische Schriftsprachen wie das Französische, in schriftlicher Form auf die betroffenen Sprachen ein, konnten jedoch erst mit dem Einsetzen der Alphabetisierung wirksam werden. Viele Wanderhirten, die über weite Teile des Balkans zogen, sprachen saisonweise eine andere Sprache als in ihrem Familienbund. Dieser Sprachkontakt hat zu einer Vereinheitlichung mündlicher Strukturen geführt, doch haben die Nomaden kaum die Struktur der Kontaktsprachen verändern können, da sich die Träger dieser Kontaktsprachen der Assimilationsperspektive bewusst waren und gegengesteuert haben. Divergenz kann für zweisprachige Personen eine wichtige Taktik der Gruppenunterscheidung, der Zugehörigkeit sein, weshalb Sprache als ethnischer Marker fungieren kann.

Forschungsstätte(n)
  • Österreichische Akademie der Wissenschaften - 100%
Nationale Projektbeteiligte
  • Johannes Koder, Universität Wien , nationale:r Kooperationspartner:in
Internationale Projektbeteiligte
  • Spiro Poci, Sonstige Forschungs- oder Entwicklungseinrichtungen - Albanien
  • Bardhyl Demiraj, Ludwig Maximilians-Universität München - Deutschland
  • Cay Lienau, Westfälische Wilhelms-Universität - Deutschland
  • Ioannis Koliopoulos, University of Macedonia - Griechenland
  • Ubavka Gajdova, Sonstige Forschungs- oder Entwicklungseinrichtungen - Mazedonien
  • Nikolai N. Kazansky, Russian Akademie of Science - Russland

Research Output

  • 173 Zitationen
  • 2 Publikationen
Publikationen
  • 2009
    Titel Effect of phosphorus uptake on growth and secondary metabolites of garden sage (Salvia officinalis L.)
    DOI 10.1002/jsfa.3561
    Typ Journal Article
    Autor Nell M
    Journal Journal of the Science of Food and Agriculture
    Seiten 1090-1096
  • 2008
    Titel Effect of Glomus mosseae on concentrations of rosmarinic and caffeic acids and essential oil compounds in basil inoculated with Fusarium oxysporum f.sp. basilici
    DOI 10.1111/j.1365-3059.2008.01895.x
    Typ Journal Article
    Autor Toussaint J
    Journal Plant Pathology
    Seiten 1109-1116
    Link Publikation

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