Neuorientierung der Disziplin Klassische Archäologie in Wien
Reorientation of the subject Classical Archaeology at Vienna
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (80%); Philosophie, Ethik, Religion (20%)
Keywords
-
Classical Archaeology,
History of Humanities,
Archive Studies
Das geplante Projekt hat sich zur Aufgabe gemacht, bedeutende Teile der Universitätsdisziplin Klassische Archäologie während der 1. Hälfte des 20. Jhs. im Rahmen der Universitätsgeschichte wissenschafts- und fachhistorisch aufzuarbeiten. Diese Zeitspanne hat bislang kein ausreichendes Interesse gefunden, obwohl sie durch die politischen Ereignisse sowie die daraus resultierenden wirtschaftlichen und organisatorischen Verhältnisse besonders attraktiv ist aufgrund von Brüchen, Veränderungen und dem Wunsch, Kontinuität wiederherzustellen. Ziel des für zwei Jahre geplanten Projektes aus der Grundlagenforschung ist es, anhand von sechs ausgewählten Aspekten die Geschichte der Klassischen Archäologie als Teil des Archäologisch- Epigraphischen Seminars an der Universität Wien in ihrem politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontext zu untersuchen. Im Bereich Universitätspolitik sollen den Schwerpunkte Finanzverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, personelle Entwicklung, wissenschaftliche Beziehungen zum Ausland sowie Ausgrabungen einschließlich einer Kontrastierung mit anderen Instituten derselben Fakultät untersucht werden. Unter Wissenschaftliche Forschung wird das Aufgreifen oder das eigene Entwickeln von archäologischen Theorien und Methoden behandelt, wobei auch die nicht zur Publikation gelangte Spezialforschung berücksichtigt werden soll, da im Archiv des Archäologischen Institutes der Universität Wien umfangreiche Vorarbeiten und Manuskripte erhalten sind. In Lehre und Qualifikation soll anhand erhaltener Bildmedien oder Vorlesungsmitschriften Lehre und Ablauf des Studiums beleuchtet werden, wobei der erhaltene Nachlass des Doktoranden Alexander Uhlenhuth bezüglich seiner Dissertation über die Ägineten, abgeschlossen im Sommer 1914, einen Schwerpunkt bilden wird. Unter Archäologische Sammlung und Lehrapparat finden sowohl die Umstände von Erwerb und Restaurierung von Objekten der Original- wie der Gipsabgusssammlung Berücksichtigung, als auch ihre Einbeziehung in die Lehre, die Provenienzforschung sowie die Frage der Aufstellung und öffentlichen Zugänglichkeit der Archäologischen Universitätssammlung. Im Bereich Ausgewählte Biographien steht zu Beginn eine historische Netzwerkanalyse auf drei Ebenen (innerhalb des Seminars; innerhalb der Wiener Universität; zwischen Seminar und der internationalen archäologischen Community), außerdem werden Dozentenpersönlichkeiten, die bislang noch keinerlei oder nicht ausreichend wissenschaftshistorische Beachtung gefunden haben, genauer erforscht: der ordentliche Professor Emil Reisch (18981933), der außerordentliche Professor Emanuel Löwy (19181938) sowie die Assistentin Hedwig Kenner (seit 1936). Unter Studierendengeschichte werden die geographische und soziale Herkunft der Absolventen ebenso analysiert wie Fragen einer möglichen Diskriminierung aufgrund von Religion, Rasse oder politischer Anschauung, aber auch Genderaspekte (Aufkommen und Anzahl weiblicher Studierenden) sowie die weitere Karriere der Absolventen. Methodisch fußt diese Forschungsarbeit auf einer umfassenden Auswertung von Akten in universitären, außeruniversitären, staatlichen, städtischen oder privaten Archiven innerhalb Wiens, aber auch auf Printmedien sowie vier Archiven außerhalb Österreichs. Als Disseminationsstrategien sind eine universitäre Ringvorlesung, zwei Milestone Meetings mit Kollegen innerhalb Österreichs, eine international ausgeschriebene Konferenz mit fester Teilnahme der internationalen Kooperationspartner in Großbritannien, Deutschland und der Schweiz sowie eine Ausstellung gegen Ende des Jubiläumsjahres 2015 geplant, außerdem die aktive Teilnahme an einschlägigen Kongressen im In- und Ausland. Darüber hinaus sollen die Forschungsergebnisse über eine eigene Homepage, in mehreren Artikeln sowie einer abschließenden monographischen Publikation verbreitet werden.
Das zwei Jahre lang geförderte Lise-Meitner-Projekt untersuchte die dynamische, also in sein wissenschaftliches Umfeld eingebundene Entwicklung der Universitätsdisziplin Klassische Archäologie an der Universität Wien während der Ordinariate von Emil Reisch und Camillo Praschniker. Dafür nahm die Projektleiterin Aktenmaterial in 14 Archiven auf, darunter neun (universitäre, staatliche, ein privates) in Wien sowie fünf im Ausland (Tschechien, Deutschland); aus weiteren vier Archiven wurden schriftliche Akten und Photographien digital zur Verfügung gestellt. Dabei wurden mehrere tausend relevante Einzelakten als Volltext oder als Exzerpt aufgenommen, sie wurden klassifiziert und ausgewertet. Als Haupt-Ergebnis zeigte sich, dass die historischen Brüche nicht immer eine scharfe Zäsur für das Fach und die übergeordnete Institution, das Archäologisch-epigraphische Seminar (in welchem die Archäologie mit der Alten Geschichte bzw. Epigraphik vereint war), zur Folge haben mussten. Oft kamen die Auswirkungen erst deutlich später zum Tragen: z. B. war es möglich, das Ende der engen wissenschaftlichen Beziehungen zu Regionen, die seit 1918 nicht mehr zu Österreich gehörten, z. B. den Adriagebieten, um fast zwei Jahrzehnte hinauszuschieben. Es konnte aber auch den Folgen beizeiten entgegengearbeitet werden, etwa nach der Abschaffung der beiden jährlichen Vollstipendien im Herbst 1914, als Prof. Reisch mit Hartnäckigkeit stipendiumsähnliche Zahlungen beim Unterrichtsministerium für zwei Studierende während und nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzte und so einen bruchlosen Anschluss an die Wiedereinführung der Stipendien 1924 herstellen konnte. Manche Folgen des Zusammenbruches des Habsburgerreiches 1918/19 waren aber auch unabänderlich, wenn z. B. bei der geographischen Herkunft der Studierenden in den Geburtsjahrgängen bis 1918 nahezu alle habsburgischen Kern- und Kronländer vertreten sind, seit 1919 die Absolventen aber mit nur einer Ausnahme ausschließlich aus Wien, Niederösterreich oder Kärnten stammten. In der Einbeziehung der Archäologischen Sammlung in die universitäre Lehre wurde eine nahezu bruchlose Kontinuität erzielt: Durch die vorübergehende Schaffung eines Extraordinariates (1918 1934, besetzt mit Emanuel Löwy bzw. Camillo Praschniker) war es möglich, die Studierenden andauernd an antiker originaler Kunst auszubilden, damals eine wichtige Aufgabe des Studiums. In mindestens einem Fall führten historische Fakten aber auch unvermeidbar zu einer Diskontinuität: im Rahmen der Entnazifizierung wurde Hedwig Kenner, seit 1936 Assistentin an der Archäologischen Universitätssammlung, im Sommer 1945 aufgrund ihrer NSDAP-Mitgliedschaft von ihrer Stelle enthoben; später kam noch der Vorwurf einer illegalen Parteimitgliedschaft während der Jahre 19331938 hinzu. Auf längere Sicht halfen ihr das persönliche Engagement ihrer Vorgesetzten (bei der Wiedereinstellung im Jänner 1948 oder der Wiedererlangung ihrer Dozentur im Februar 1949), übergeordnete politische Entscheidungen (die Amnestie für Minderbelastete vom April 1948) sowie der Umstand,dass sie nach dem überraschenden Tod Praschnikers im Herbst 1949 die inoffizielle Vertretung des Lehrstuhls übernehmen konnte, wieder an der Universität Fuß zu fassen. Die Disziplin Klassische Archäologie an der Universität Wien war also vom späten Habsburger Kaiserreich bis in die ersten Jahre der 2. Republik eine dynamische Institution, die es durch rechtzeitiges Einschreiten oder konkretes Eingehen auf Probleme historischen Ursprungs schaffte, Brüche zu über- winden und damit häufiger eine Kontinuität herstellen konnte, als dass sie auf eine Neuorientierung zurückgreifen musste.
- Universität Wien - 100%
Research Output
- 1 Publikationen
-
2015
Titel Äußerer Zwang und innerer Antrieb: Die Dynamik des Faches Klassische Archäologie während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts DOI 10.14220/9783737004152.575 Typ Book Chapter Autor Schörner H Verlag Brill Deutschland Seiten 575-586