Eine Universität für das Volk

Universitäten spielen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Gesellschaft von morgen. Sowohl durch Forschung als auch durch Bildung tragen sie dazu bei, Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen zu finden. Die akademische Forschung versucht, zum Beispiel, Lösungen für gegenwärtige Problemlagen wie Klimawandel oder Digitalisierung zu finden, oder stellt solche Problemen in eine breitere soziale, kulturelle und historische Perspektive. Darüber hinaus bereiten akademische Studiengänge junge Erwachsene darauf vor, als Expert*innen einen kreativen und konstruktiven Beitrag in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft leisten zu können. Auf verschiedenen Ebenen (institutionell, national, europäisch), versucht die Hochschulpolitik zunehmend, die Gestaltung der zukünftigen Gesellschaft durch die Universitäten zu lenken. Dabei wird die Vorstellung von der Universität als Elfenbeinturm oft stark kritisiert, weshalb politische Akteur*innen mit verschiedenen Maßnahmen versuchen stattdessen eine Universität für das Volk zu realisieren. Der Wunsch, die Universität stärker an den Bedürfnissen der Bevölkerung auszurichten, ist freilich nicht neu. Insbesondere in von kolonialer Unterdrückung geprägten Ländern, wurde nach der Unabhängigkeit oft mit neuen Formen der Universität experimentiert, die die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung stärker berücksichtigten, sodass diese reformierten Universitäten zur Entwicklung dieser neuen Nationalstaaten beitrugen. In der vorherrschenden Universitätsgeschichtsschreibung wurden solche Geschichten jedoch meist zugunsten einer eher eurozentrischen Darstellung vernachlässigt, die die Idee der globalen Universität in einer wissensbasierten Wirtschaft propagiert. Eine stärkere Fokussierung auf postkoloniale Geschichten der Universitätsreform bietet daher auch die Möglichkeit, das Narrativ der Universität als einer eminent europäischen Institution zu kritisieren. Das geplante Projekt versucht anhand dreier Fallstudien eine solche postkoloniale Universitätsgeschichte zu rekonstruieren. Dabei handelt es sich um die Land-Grant-Bewegung in den USA (1862-1890), die Studentenbewegung von Cordoba in Argentinien (1918-1930) und den offenen Unterricht und die Fernlehre in Südafrika (1946-1980). Jede dieser drei Reformbewegungen schlug eine bestimmte Konzeption von der Universität vor, um den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden und eine bestimmte Zukunftsvision zu verwirklichen. Für jede der Fallstudien wird die Frage untersucht, wie die Vorstellungen von der Universität in Verbindung mit wünschenswerten Zukunftsvorstellungen und einem bestimmten politisch gefärbten Verständnis "des Volkes" artikuliert und umgesetzt wurden. Damit interveniert das Forschungsprojekt aus historisch-vergleichender Perspektive in die gegenwärtigen politischen und wissenschaftlichen Debatten um die Zukunft der Universität und die Frage nach einer stärkeren Ausrichtung der Universität an gesellschaftlichen Bedürfnissen.