So eine Art lyrisches Kaffeehaus
So eine Art lyrisches Kaffeehaus
Wissenschaftsdisziplinen
Geschichte, Archäologie (10%); Sprach- und Literaturwissenschaften (90%)
Keywords
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Anastasius Grün,
Weidmann publisher,
19th century Austria,
19th century politics and poetry,
Salomon Hirzel,
Georg Andreas Reimer
Mit Beginn des Jahres 1832 war die traditionsreiche, seit 1680 bestehende Weidmann`sche Buchhandlung in neue Hände übergegangen; Georg Andreas Reimer hatte das zehn Jahre vorher von ihm erworbene Verlagshaus seinem ältesten Sohn Karl und seinem Schwiegersohn Salomon Hirzel übergeben, die die Buchhandlung bis zum Jahre 1853 gemeinschaftlich leiteten. Das Haus, das seinen Schwerpunkt schon damals mehr im historischen und philologischen Fach als in der Belletristik sah, setzte unter den neuen Eigentümern seinen Ehrgeiz daran, das traditionsreiche Genre des Musenalmanachs zu beleben, also eine prestigeträchtige Anthologie neuerer Lyrik zu begründen. 1832 traten die Verleger an Adelbert von Chamisso mit der Bitte heran, fortan die Redaktion zu übernehmen. Das hohe Ansehen des Dichters schien Garant dafür, dass die besten des deutschen Sprachraums ihre Beiträge gerne zur Verfügung stellen würden. Durch sein Ersuchen, ihm Gustav Schwab als Mitredaktor zur Seite zu geben, gewann das Unternehmen einen Mitarbeiter mit großer redaktioneller Praxis; außerdem wurde das Editorenpaar, in dem sich der Berliner und der Schwabe gefunden hatten, zu einem Symbol der Vereinigung nord- und süddeutscher Ambitionen, weshalb denn auch der Name in "Deutscher Musenalmanach" geändert wurde. Damit war durchaus ein programmatischer Anspruch gestellt, und so wandte man sich auch an den österreichischen Dichter Anastasius Grün. Der aus Krain stammende Adelige hatte im Sommer 1830 persönliche Freundschaft mit den schwäbischen Dichtern um Uhland geschlossen, und die Reise hatte ihn zum Augenzeugen der Julirevolution in Frankreich werden lassen. Beides wirkte mächtig nach, und während das Jugendwerk "Blätter der Liebe" und der - politisch akzentuierte - "Letzte Ritter" erschienen, schrieb Grün bereits an seinen "Spaziergängen eines Wiener Poeten". Um ihn bemühte man sich, dessen kühne Töne und reiche poetische Bilder Faszinierendes für die Zukunft erwarten ließen; zugleich unterstrich das Werben um das junge Talent von der Südgrenze des deutschen Sprachgebietes den universellen Anspruch, den das Projekt der beiden jungen Verleger erfüllen sollte. Grün, der ohnedies auf der Suche nach Geschäftsfreunden war, die ihm die publizistischen Schwierigkeiten umgehen helfen konnten, die ihm seine engere Heimat bereitete, folgte der Bitte und die Drei schlossen eine lebenslange Freundschaft. Indessen erschienen, von den 49 Auflagen, die die einzelnen selbstständig heraus-gebrachten Werke Grüns zu dessen Lebzeiten erfuhren, 41 bei Weidmann; die Gesamtausgabe allerdings, um die sich Karl Reiner so sehr bemüht hatte, erschien erst postum bei Grote in Berlin. Der Weidmann`sche "Deutsche Musenalmanach" bildet somit den Auftakt einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Verlagshaus und dem österreichischen Dichter und Staatsmann; der Briefwechsel umfasst das Versteckspiel mit den Metternich`schen Zensurbehörden ebenso wie umfassende Erörterungen zur Zukunft von Donaumonarchie und deutschem Bundesstaat, als 1848 alles in Bewegung geraten war, und das Ringen um das Publikumsinteresse in der früheren franzisko-josephinischen Ära. Auch die politischen Zeitereignisse finden in diesen, in erster Linie literarisch motivierten, Briefen ihren aktuellen und unmittelbaren Ausdruck. .
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