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Schmerz und Krankheitsdarstellung II

The Representation of Pain and Illness II

Florian Menz (ORCID: )
  • Grant-DOI 10.55776/P20283
  • Förderprogramm Einzelprojekte
  • Status beendet
  • Projektbeginn 01.03.2008
  • Projektende 31.12.2010
  • Bewilligungssumme 268.515 €
  • Projekt-Website

Wissenschaftsdisziplinen

Klinische Medizin (10%); Sprach- und Literaturwissenschaften (90%)

Keywords

    Doctor-Patient-Interaction, Anxiety, Pain, Empowerment, Co-Morbidity, Interculturality

Abstract Endbericht

Der vorliegende Projektantrag baut unmittelbar auf dem FWF-Projekt "Schmerzdarstellungen und Krankheitserzählungen auf, das im Februar 2007 abgeschlossen wurde. Er hat zum Ziel, auf der Basis der gefundenen Ergebnisse die folgenden drei Fragenkomplexe zu vertiefen und zu ergänzen, die Forschungslücken in der Diskursforschung nahe legen und sich auch in den Besprechungen mit Medizinern als für die ärztliche Gesprächsführung besonders relevant herausgestellt haben. Erstens zeigt eine Reihe von epidemiologischen und klinischen Studien einen ausgeprägten Zusammenhang von primären Kopfschmerzen und psychischen Beschwerden, allen voran Angst und Depression, wobei zunehmend deutlich wird, dass das subjektive Angsterleben entscheidende Hinweise zu einem besseren Verständnis der Krankheit liefert. Da dieses jedoch nur über Interaktion vermittelt zugänglich ist, soll in diesem Projekt die Fragestellung, wie PatientInnen selbst den Zusammenhang von Angst und Schmerz thematisieren und interaktiv bearbeiten, verfolgt werden. Zweitens zeigten sich im Vorgängerprojekt beträchtliche Passungsprobleme zwischen den Gesprächsplänen der ÄrztInnen und den Anliegen der PatientInnen, die die Schmerzambulanzen aufsuchen. Eine weiterführende linguistische Analyse des Datenmaterials soll systematisch Aufschluss über die unterschiedlichen kommunikativen Formen von Beteiligungsangeboten und -aktivitäten (Stichworte: patientenzentrierte Medizin, empowerment, Entscheidungsfindung) von ÄrztInnen und PatientInnen geben und erfolgreiche und nicht erfolgreiche Formen ihrer interaktiven Bearbeitung beschreiben. Drittens schließlich wurde von den medizinischen Kooperationspartnern die besondere Problematik der Schmerzdarstellung von PatientInnen mit einem anderen kulturellen Hintergrund unterstrichen. Da gerade bei primären Schmerzen die kommunikative Darstellung entscheidend ist, soll der Frage nachgegangen werden, ob sich in der Schmerzdarstellung Rückschlüsse auf kulturelle Unterschiede ziehen lassen. Allerdings wird es hier gelten, eine Reihe von caveats, die wir zusammengestellt haben, zu beachten. Das Projekt kann großteils auf das Datenmaterial des Vorgängerprojekts zurückgreifen, das punktuell gemäß den Fragestellungen ergänzt werden soll. Damit wird dann eines der größten deutschsprachigen Videocorpora von Schmerzdarstellung zur Verfügung stehen. Theoretische und methodische Basis bildet der in nunmehr über dreißigjähriger Forschungstradition entwickelte Wiener Ansatz zur Erforschung institutioneller Kommunikation, der in integrativer Art Kritische Diskursanalyse mit gesprächsanalytischen Fragestellungen verbindet und an Erkenntnisse der Medizinsemiotik und z.T. der Systemisch-Funktionalen Linguistik anknüpft. Gemäß der Praxisorientierung des Wiener Ansatzes sollen die Ergebnisse, möglicherweise sogar schon in Form von Empfehlungen, auch an die medizinische Praxis zurückgebunden werden können.

Viele ÄrztInnen zählen die Gesprächsführung mit PatientInnen mit geringen oder fehlenden Deutschkenntnissen bzw. anderen soziokulturellen Hintergründen zu ihren größten kommunikativen Herausforderungen. Denn der Umgang mit Kopfschmerzen und damit auch die Frage ihrer erfolgreichen medizinischen Behandlung hängen wesentlich von kommunikativen Faktoren ab. Je besser die Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen in Bezug auf die Anamnese, die körperliche Untersuchung, die Diagnose, den Therapievorschlag, die Terminvereinbarung und die Kontrolle des therapeutischen Erfolgs gelingt, desto besser lassen sich die mit Kopfschmerzen verbundenen Krankheitsbeschwerden lindern. Das am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien durchgeführte FWF-Projekt "Schmerz- und Krankheitsdarstellung II" hat die Besonderheiten und Probleme solcher Gesprächssituationen untersucht. Insgesamt wurden 56 Erst- und Kontrollgespräche zwischen ÄrztInnen und PatientInnen mit geringen oder fehlenden Deutschkenntnissen auf der Kopfschmerzambulanz des Wiener Allgemeinen Krankenhauses auf Video aufgezeichnet. In 20 dieser Gespräche dolmetschen jeweils Familienangehörige oder eine professionelle Dolmetscherin. Es hat sich erwiesen, dass die Kommunikation zwischen den ÄrztInnen, PatientInnen und FamiliendolmetscherInnen umso eher gelingt, je erfolgreicher und häufiger verschiedene Verfahren der Verständnisförderung (z.B. einfache Fragen, keine Doppelfragen, Körpersprache, Wiederholungen, Zeichnungen und Bilder) zum Einsatz kommen. Derartige Verfahren sind in den analysierten Gesprächen besonders wichtig, weil der sprachliche, kulturelle und gegenstandbezogene Wissenshintergrund der Gesprächspartner stark divergiert. Allerdings wurde auch deutlich, dass unter den derzeitigen Bedingungen alle am Gespräch beteiligten Parteien überfordert sind: die PatientInnen, die trotz geringer Deutschkenntnisse versuchen, sich verständlich zu machen, und die zum Gesprächsgegenstand werden, über den entschieden wird, die dolmetschenden Familienangehörigen, denen die Aufgabe der Dolmetschung übertragen wird, obwohl ihnen die dazu notwendige Neutralität und Dolmetschkompetenz fehlt und die ÄrztInnen, die trotz sichtbaren Bemühens unter den derzeitigen Bedingungen im Gesundheitswesen oftmals damit überfordert sind, sich im Gespräch auch noch darum zu kümmern, dass Familienangehörige angemessen dolmetschen. Bei den Schwierigkeiten in ärztlichen Gesprächen mit PatientInnen mit geringen oder fehlenden Deutschkenntnissen handelt es sich also um ein strukturelles Problem. Diesem sollte mit gezielten Maßnahmen begegnet werden: einem Ausbau und systematischen Einsatz des professionellen Dolmetschdienstes (die einzige Form, die Chancengleichheit für PatientInnen beinhaltete), der Nutzung des Potentials lebensweltlicher Mehrsprachigkeit (Fortbildungen zur Schulung von Dolmetschkompetenz bei mehrsprachigem Pflegepersonal, verstärkter Einsatz von mehrsprachigen ÄrztInnen) sowie einer gezielten Schulung von ÄrztInnen zur Sensibilisierung für die spezifischen Anforderungen der Gesprächsführung unter Beteiligung von FamiliendolmetscherInnen.

Forschungsstätte(n)
  • Universität Wien - 100%
Internationale Projektbeteiligte
  • Elisabeth Gülich, Universität Bielefeld - Deutschland

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