Monographie der Haptorida (Ciliophora, Litostomatea)

Das Projekt ist eine Fortsetzung meines früheren FWF Projekts (P 15017-B06) "Monographie der Familie Spathidiidae". Die Spathidiidae sind Teil der Unterklasse Haptoria, die die Ordnung Haptorida enthält. Die Haptorida sind eine Gruppe von Ciliaten, einzelligen Lebewesen, wie das gut bekannte Pantoffeltierchen. Ciliaten (Wimpertiere) gehören zu den Protisten, das sind die heterotrophen und autotrophen Einzeller von meist mikroskopischer Größe, von denen es etwa 250.000 beschriebene lebende und fossile Arten gibt. Die Haptorida bestehen aus etwa 140 benannten Arten, von denen die meisten schlecht beschrieben sind und die 1930 das letzte mal revidiert wurden. Daher werden sie heute für unbestimmbar gehalten, und alle Fachkollegen stimmen darin überein, dass gerade diese Gruppe dringend revidiert werden muss. Die Ziele und Aussichten des gegenständlichen Forschungsprojekts, das in das weltweite Biodiversitätsprogramm integriert ist, sind folgende: Kritische Revision des vorhandenen Wissens; Neuuntersuchung und Neotypifizierung unzureichend beschriebener Arten sowie Beschreibung von etwa 50 neuen Arten, die wir in Böden aus der ganzen Welt entdeckt haben. Methoden: Lebendbeobachtung, Silberimprägnation, Ontogenese, Raster- und Transmissionselektronenmikroskopie, Molekularbiologie (Sequenz der Gene, in Zusammenarbeit mit darauf spezialisierten Kollegen); Das Resultat dieser Revision wird nicht nur die Haptoriden wieder bestimmbar machen, sondern vermutlich auch eine Abschätzung der weltweiten Ciliaten-Diversität ermöglichen, die zurzeit sehr kontrovers diskutiert wird (3.000 bis 30.000 Arten); Ausbildung junger Wissenschaftler/innen in Alpha-Taxonomie (= Beschreibung von Arten), einer aussterbenden Wissenschaftsdisziplin, zumindest in Europa und den USA. Die Mitarbeiter werden auch in den modernen molekularbiologischen Methoden unterrichtet. Die in Englisch geschriebene Monographie wird bei SPRINGER veröffentlicht, und zwar in der Serie "Monographiae Biologicae". Wir haben große Erfahrung in der Erstellung von Ciliaten-Monographien und sind in dieser Hinsicht einzigartig weltweit. Daher ist es eine gute Karriere-Chance für alle Beteiligten. Das Projekt ist für drei Jahre geplant und benötigt etwa 382.000 Euro, überwiegend zur Finanzierung eines Post- Doc, einer/s Doktorandin/en, und einer technischen Assistenz.

Ciliophora oder Ciliaten (Wimpertiere) sind einzellige Lebewesen (Protozoa) von mikroskopischer Größe (meist < 1 mm), deren Diversität (Artenvielfalt) und Phylogenie (Verwandtschaftsgeschichte) noch sehr wenig bekannt sind. Daher initiierte ich 2007 das oben genannte, dreijährige Forschungsprojekt mit Schwerpunkt Biodiversität. Von 2007 bis Ende 2010 beschrieben wir 38 neue Ciliaten- Arten in 34 Einzelarbeiten und revidierten einen Teil der umfangreichen Unterklasse Haptoria, und zwar die Ordnung Dileptida ("Rüsseltierchen"). Sie wurden deswegen gewählt, weil die molekularen Phylogenien zeigten, dass sie die Basis der Klasse Litostomatea bilden, ein unerwartetes und für die Evolution der Ciliaten wichtiges Ergebnis. Die Revision der Dileptiden resultierte in einer 500 Seiten starken Monographie, in der die 66 validen Taxa ausführlich und mit vielen licht- und elektronenmikroskopischen Abbildungen beschrieben wurden. Ein drittes besonders bemerkenswertes Resultat des Projekts war die "Entdeckung" eines talentierten Jungforschers, der das oben genannte Thema mit Begeisterung zu seiner Doktorarbeit machte. Ciliaten findet man in fast allen wässrigen Biotopen, d.h., im Meer- und im Süßwasser, freilebend und auf vielzelligen Tieren und Pflanzen. Wie der Name sagt, sind sie mit feinen Härchen (Cilien) bedeckt, die zur Fortbewegung und Nahrungsbeschaffung dienen. Bei ungünstigen Verhältnissen können viele Ciliaten Dauerstadien (Cysten) bilden. Dabei runden sie sich ab und bilden eine dicke Membran, die so widerstandsfähig ist, dass die zarten Zellen viele Jahre überleben können. Zusammen mit den Amöben, den Geißeltierchen und den Sporentierchen bilden die Ciliaten die so genannten heterotrophen Protozoen, die kein Chlorophyll haben und sich daher durch Fressen ernähren müssen. Bisher wurden etwa 10 000 Ciliaten- Arten beschrieben; vermutlich sind das aber nur 20% der tatsächlichen Diversität, die deswegen so ungenügend bekannt ist, weil es sich größtenteils um harmlose Organismen handelt für die sich nur wenige Forscher begeistern konnten. Ein wichtiges Ziel des Projekts war die Ausbildung von jungen alpha- Taxonomen (nur sie können die vielen Arten identifizieren und beschreiben), an denen weltweit großer Bedarf besteht. Aber es ist ein schwieriges Fach mit wenig sozialer Anerkennung und wird daher selten studiert. Deshalb betrachte ich es als Glücksfall, dass ich Herrn Mag. Peter Vdacny für das Projekt gewinnen konnte. Er studierte an der Universität Bratislava und erforschte in seiner Magisterarbeit die Taxonomie und Ökologie von Boden- Ciliaten. Herr Mag. Vdacny erwies sich als gescheiter und talentierter Ciliatenforscher und konnte daher nach 6 Semestern mit dem Doktorat abschließen. Für 6 Monate war er im Labor von Prof. Slava Epstein, Boston University, um die molekularen Methoden der Taxonomie zu erlernen. Er kam mit drei exzellenten Manuskripten zurück! Seine rege Publikationstätigkeit und seine Auslandsaufenthalte führten dazu, dass er eine Assistentenstelle am Zoologischen Institut der Universität Bratislava erhielt. Er kann dort an den Ciliaten weiter forschen. Was will man mehr!