Bildung als bester Schutz gegen Arbeitslosigkeit

Wie wird die Arbeitswelt nach der Coronapandemie aussehen? Welche Kompetenzen sind künftig gefragt? Werden die Maßnahmen gegen die hohe Arbeitslosigkeit wirken, und was braucht es für eine gesunde Wirtschaft? Erfahren Sie im Video-on-demand zum „Am Puls“-Wissenschaftstalk mehr über die Bildung als bester Schutz gegen Arbeitslosigkeit.

Die Covid-19-Pandemie hat einen hohen Tribut von der Arbeitswelt gefordert. Weltweit sind mehr als 200 Millionen Vollzeitarbeitsplätze verloren gegangen. Dieser Rückgang der Beschäftigung ist weit größer als der nach der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt. In Österreich sind derzeit fast eine Million Menschen arbeitslos oder in Kurzarbeit, besonders hart trifft es Geringqualifizierte. Vor Kurzem hat die Regierung daher ein neues Maßnahmenpaket beschlossen, mit dem Ziel, 500.000 Menschen innerhalb eines Jahres vollwertige Arbeitsplätze zu verschaffen. „Das ist ambitioniert“, sagt der Leiter des Arbeitsmarktservice (AMS) Johannes Kopf. Aufgrund der noch ungewissen Situation sei es schwer abzuschätzen, wann die Wirtschaft tatsächlich wieder in Fahrt kommen wird. Doch Johannes Kopf ist optimistisch, dass es ab dem Sommer zumindest eine Entspannung am Arbeitsmarkt geben wird. Ein nachhaltiges Sinken der Arbeitslosigkeit sieht der Experte jedoch erst mit Anfang 2023. Daher gelte es nun, die Zeit für Qualifizierung zu nützen, damit in der Konjunktur genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen, betont Kopf. Die Regierung hat dementsprechend im November des Vorjahres eine mit 700 Millionen Euro dotierte Corona-Joboffensive gestartet.

Die Frage, wie sich die Arbeitswelt nach der Pandemie gestalten wird, beschäftigt viele von uns. Wird die Arbeitslosigkeit hoch bleiben, welche Branchen trifft es besonders hart, wird die globalisierte Wirtschaft zurückgehen und welche Rolle spielt bei alldem das Schlagwort Digitalisierung? AMS-Vorstand Johannes Kopf prognostiziert, es werde Bereiche geben, wo die Beschäftigung nach der Kurzarbeit nicht in vollem Umfang zurückkommen wird. „Auch in der Wirtschaft gibt es so etwas wie Long Covid“, sagt der Arbeitsmarkt-Experte, „zudem haben viele Betriebe keine Rücklagen.“

Daten, Transparenz und Regionalität

Umso wichtiger ist es, in einer Pandemie dieses Ausmaßes kritische Bereiche frühzeitig zu erkennen. Darauf hat sich die Wirtschaftswissenschaftlerin Marion Rauner von der Universität Wien spezialisiert, ihr Forschungsfokus liegt auf Gesundheitsökonomie und Krisenmanagement. Schon vor Corona hat die Expertin ein strategisches Katastrophenschutz-Wiki, auch für Epidemien, ausgearbeitet. Als unerwartet das reale Szenario der globalen Pandemie folgte, lernte Marion Rauner, dass sie und ihr Team die wesentlichen Punkte für einen solchen Krisenfall berücksichtigt hatten. Mit Lockdowns und in dieser Länge, damit hatten aber auch die Forschenden nicht gerechnet, berichtet Rauner bei AM PULS im Wiener Theater Akzent. Für die Wissenschaftlerin sind zwei Aspekte in der Pandemie zentral: „Es braucht verlässliche Statistiken und den Menschen müssen mögliche Szenarien aufgezeigt werden – vom Best Case bis zum Worst Case.“ Dabei zieht Rauner den Vergleich mit der Vergangenheit: „Auch die Spanische Grippe ist über längere Zeit in Wellen verlaufen, mit unterschiedlichen Auswirkungen.“

Gezeigt hat sich in der Krise auch, dass sich Investitionen in die digitale Infrastruktur eines Landes bezahlt machen, man denke an nahezu kollektives Homeoffice und Distance-Learning einer ganzen Nation. Nicht zuletzt hat die Coronakrise die Verwundbarkeit der globalen Wirtschaft mit langen Lieferketten und Wanderarbeitenden offenbart. „Wir sollten jetzt den Mut aufbringen, zu entglobalisieren und in regionale Jobs zu investieren, um stabiler zu werden“, sagt Rauner. Dies könnte die Basis für resiliente Arbeitsmärkte sein, die flexibel bleiben und vorausschauend agieren. 

Grundkompetenzen fördern

Flexibilität ist auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine wichtige Voraussetzung, um sich in einer Arbeitswelt zurechtzufinden, die ständig in Bewegung ist. Doch was genau sind die Skills von morgen? „Diese Frage beschäftigt uns am AMS sehr“, sagt Johannes Kopf. Eine Prognose über die Zukunft der Arbeitswelt abzugeben, fällt auch dem langjährigen Leiter des Arbeitsmarktservice nicht leicht. „Wir wissen, was in drei bis fünf Jahren gebraucht wird, aber nicht, was in 10 bis 15 Jahren sein wird“, erklärt Kopf bei der Podiumsdiskussion des FWF. Um Antworten zu finden, hat das AMS ein eigenes Forschungsprojekt mit 170 Betrieben initiiert. In den Unternehmen ist viel von digitalen Skills die Rede; das Arbeitsmarktservice wollte herausfinden, was genau damit gemeint ist. „So richtig konnte das keiner beantworten“, sagt Kopf. Denn die Tools ändern sich schnell in der heutigen Berufswelt. Die Learnings aus dem Projekt bestätigen somit eine alte Erkenntnis: Zunächst müssen (digitale) Grundkompetenzen erlernt werden, erst dann sollte der Schritt in die Spezialisierung folgen.

Flexibel, digital, international

Erfolgreiche Wirtschaften bauen auf Neugierde, Freude am Lernen, Kreativität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf – Kompetenzen, die auch in Krisenzeiten eine gute Absicherung sind. Das Rüstzeug dafür sollten Heranwachsende idealerweise in den Bildungseinrichtungen erhalten. Um heute wie in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen und seine beruflichen Ziele umsetzen zu können, gilt nach wie vor: „Bildung ist der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit“, wie Kopf in der Diskussion betont. Die Statistiken sprechen für sich: Während die Arbeitslosenquote von Personen mit Pflichtschulabschluss normalerweise bei über 20 Prozent liegt, finden nur rund vier Prozent der Menschen mit Studium keinen Arbeitsplatz. Ein gutes Bildungsmodell für die Arbeitswelt von morgen sieht der AMS-Chef unter anderem in jenem der „Lehre nach Matura“, das in Deutschland schon weiter entwickelt ist als in Österreich. „Das werden die Facharbeiter von morgen sein“, sagt Kopf. Insgesamt wird die Arbeitswelt flexibler, digitaler und auch internationaler werden, prophezeit der Experte. Die europäische Wirtschaft wird stärker zusammenwachsen und Homeoffice als Gewinn für alle Beteiligten besonders in ländlichen Regionen bleiben.

Marion Rauner, Johannes Kopf und Jasmin Dolati auf der Bühne
© Stefan Kranewitter

Ao. Univ. Prof. Dr. Marion Rauner, Associate Professor am Institut für Unternehmensentscheidungen und Analytik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Statistik der Universität Wien, ehemalige FWF-Schrödinger-Stipendiatin

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Marion Rauner erwarb einen MBA in Wirtschaftsinformatik, einen Ph.D. in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und ihre Habilitation in Betriebswirtschaftslehre, alle von der Universität Wien, und einen MBA in Betriebswirtschaftslehre der Wirtschaftsuniversität Wien. Im akademischen Jahr 1999/2000 war sie Gastprofessorin an der University of Stanford, Department of Management Science and Industrial Engineering in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Margaret Brandeau, gesponsert von einem Erwin-Schrödinger-Stipendium des FWF. Zu den Forschungsinteressen von Professor Rauner gehören Operationsforschung im öffentlichen und gemeinnützigen Management, Katastrophenmanagement, Gesundheitsmanagement, strategisches Management, Krankheitspolitikmodellierung sowie Technologiebewertung.

Dr. Johannes Kopf, Chef des AMS (Arbeitsmarktservice)

Der Jurist Johannes Kopf ist seit 2006 Vorstandsmitglied des AMS (Arbeitsmarktservice), seit 2019 auch Vorsitzender des Netzwerks der europäischen Arbeitsmarktverwaltungen. Von 2003 bis 2006 war er Arbeitsmarktexperte im Kabinett von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein. Davor war er als Referent der Industriellenvereinigung mit Schwerpunkt Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates des AMS tätig. Von 2001 bis 2002 Österreichs Arbeitgeber-Verhandler in Brüssel im Sozialen Dialog der EU zu den Themen Leiharbeit und Telearbeit. Ausgezeichnet mit dem Dr. Heinrich Treichl Preis für humanitäres Engagement (Rotes Kreuz Österreich).

„Am Puls“-Wissenschaftstalk

20. April 2021 per Livestream

Marion Rauner, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Wien

Johannes Kopf, AMS-Vorstand

Jasmin Dolati, Moderation, Programmchefin ORF-Radio Wien

Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem ORF-Radio Wien statt.

Logo Radio Wien

Keep exploring

„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Georg Vogeler und Ana Simic
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Kerstin Hödlmoser, Michael Saletu, Jasmin Dolati
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Désirée-Marie Holjevac, Silke Meyer und Manfred Mitterwachauer auf der Bühne
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Ingrid Brodnig, Jasmin Dolati und Jörg Matthes auf der Bühne
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Raimund Helbok, Mariann Gyöngyösi und Jasmin Dolati auf der Bühne
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Maria Katharina Moser, Gottfried Schweiger und Jasmin Dolati auf der Bühne
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Reinhard Haller, Eva Jonas und Jasmin Dolati auf der Bühne
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Elisabeth Rosemann und Fares Kayali im Portrait
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Christoph Spötl und Lisa Plattner im Portrait
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Header Am Puls Tiere
„Am Puls“-Wissenschaftstalk
Sylvia Gaiswinkler und Alexandra Kautzky-Willer
Nach oben scrollen